Phantasmen (German Edition)
tot?«
Selbst mir lief bei ihrem Tonfall ein Schauder über den Rücken.
Haven zuckte kaum merklich zusammen, drehte sich aber nicht um, blieb auch nicht stehen. Kurz darauf öffnete er eine Tür, die in einen Raum führte, dessen Rückwand vom Boden bis zur Decke aus Glas bestand.
»Nicht reinkommen«, sagte er. »Bleibt an der Tür stehen.«
Er selbst aber durchquerte den Raum, wobei ihm jeder Schritt schwerer zu fallen schien als der vorangegangene. Er schwankte merklich, als er die Scheibe erreichte, eine Hand hob und sie dagegenpresste.
Auf der anderen Seite des Sichtfensters befand sich ein zweites, lang gestrecktes Zimmer, an dessen Ende ein einzelnes Krankenbett stand. Erloschene Monitore und leere Infusionsflaschen waren durch Kabel und Schläuche mit einem schmalen Körper verbunden, der zugedeckt auf dem Bett lag. Das Mädchen hatte langes blondes Haar wie Emma, aber es war halb so alt. Ein Teddybär war heruntergefallen und lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden.
Aus der Körpermitte der Kleinen ragte ihr Geist empor, ein zartgliedriges Kind, dessen Gesicht von einem bösen Lächeln verzerrt wurde. Die Smilewave musste eingesetzt haben, während wir auf dem Weg nach unten gewesen waren. Haven hatte uns nicht nur vor den Löwen gerettet.
Emma und ich waren gerade weit genug entfernt, um nichts von dem Lächeln zu spüren, aber der Colonel setzte sich ihm aus, um so nah wie möglich bei seiner Tochter zu sein.
»Kommen Sie da raus«, rief ich ihm zu, ohne einen Fuß in den Raum zu setzen.
Er ballte am Glas die Hand zur Faust, gab sich einen Ruck und kehrte zu uns zurück. Nun sah er selbst aus wie eine Leiche und wir mussten ihn auffangen, als er auf den letzten Metern ins Stolpern geriet. Vor drei Jahren hatte er den Befehl zur Ermordung meiner Eltern gegeben, aber wir brauchten ihn noch. Er war der Einzige, der uns sagen konnte, was hier unten geschehen war.
Und wo Tyler steckte.
»Whitehead hat sie sterben lassen«, sagte er.
»Was ist mit den Ärzten? Ich dachte, es gäbe hier Wissenschaftler und –«
Haven schnitt mir mit einer Bewegung das Wort ab. Sein ausgestreckter Arm bebte, als er zu einer Tür am fernen Ende des Korridors zeigte. »Sie sind alle da drinnen.«
Der Durchgang war geschlossen, aber durch den Spalt unter der Tür fiel strahlend weißes Licht.
»Was ist hier –«
»Whitehead hat sie getötet. Er hat sie im Konferenzsaal zusammengerufen und dort erschossen, jeden Einzelnen von ihnen.«
»Aber warum?«
»Weil er wusste, was früher oder später geschehen würde. Und er nicht das Risiko eingehen wollte, dass ihre Geister dann dort stehen, wo er sie nicht gebrauchen kann: in der Nähe der Probanden.«
»Und das Beste, was ihm dazu einfiel, war, sie alle zu ermorden ?« Für einen Augenblick vergaß ich, dass ich mit einem Mann sprach, der wahrscheinlich weit mehr Menschen auf dem Gewissen hatte als Whitehead.
»Die, die geblieben sind. Manche hatten sich schon aus dem Staub gemacht, als draußen alles zusammengebrochen ist. Aber einige sind geblieben, vielleicht weil sie die Probanden nicht zurücklassen wollten. Acht oder zehn, ein paar Ärzte und Pfleger … Die Krankenschwester, die sich um Tanya gekümmert hat, ist auch unter den Toten. Danach war niemand mehr da, der für Tanya sorgen konnte.«
In Emmas Kopf drehten sich die Rädchen mit mathematischer Präzision. Als sie sprach, klang sie vollkommen unbeeindruckt. »Was haben Sie jetzt vor?«
Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Korridorwand und warf durch die offene Tür einen letzten Blick auf seine Tochter. Ihr Lächeln sah zu erwachsen, zu durchtrieben aus. Mit einem Stöhnen, als bereitete ihm die Bewegung Schmerzen, stieß Haven sich von der Wand ab und eilte den Gang hinunter, zurück in die Richtung, aus der wir gekommen waren. »Folgt mir!«
»Wohin?«, fragte ich, aber ebenso gut hätte ich Tanyas Geist fragen können.
An der nächsten Kreuzung bogen wir nicht zum Aufzug ab, sondern nach links. Alle Türen zu beiden Seiten des Korridors waren geschlossen.
»Sie sind hier«, sagte Emma. »Die acht. Und der Neunte aus dem Hubschrauber auch. Aber er ist vorhin gestorben.«
Haven wurde langsamer und sah über die Schulter. »Woher weißt du das?«
»Sie reden darüber«, sagte sie. »Miteinander.« Sie hielt kurz inne, dann fügte sie hinzu: »Wir sind jetzt fast bei ihnen.«
Der Colonel blieb stehen und musterte sie mit einer anderen Art von Interesse als bisher. »Was sollte das im
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