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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Flut aus reinstem Weiß, schien durch die hohen Scheiben herein wie von einer Phalanx aus Filmscheinwerfern. Ihr Licht schien den Marmorboden in eine spiegelnde Eisfläche zu verwandeln.
    Wir stolperten durch die leere Halle. Nirgends war ein Mensch zu sehen.
    Haven feuerte noch einmal, dann schwieg seine Waffe. Über die Schulter sah ich, dass er hinab in den Windfang kam, durch die zweite Tür. Er schlug mit der Hand auf einen faustgroßen Knopf, und im nächsten Moment schlossen sich die Panzerscheiben hinter ihm mit einem hydraulischen Zischen. Zwei Löwinnen schnellten hinter ihm aus dem Totenlicht und eine knallte mit der Wucht einer Kanonenkugel gegen die geschlossene Tür. Sie brüllte auf, die andere scharrte mit den Pranken am Glas.
    Der Colonel spurtete hinter uns her, holte uns ein und zog Emma am Oberarm mit sich. Ihre Hand wurde mir entrissen, sie protestierte, aber Haven ließ sie nicht los. Ich folgte den beiden, so schnell ich konnte, leicht hinkend vom Sturz, und erreichte die offene Liftkabine nur einen Atemstoß nach ihnen.
    »Das ist weit genug«, sagte Haven. Die nächste Smilewave konnte uns hier nicht erreichen.
    Emma riss sich von ihm los und trat neben mich. »Alles in Ordnung?«
    Ich nickte.
    Sie wandte sich an Haven, der gerade eine Schlüsselkarte durch den Schlitz unterhalb der Etagenknöpfe zog. Die Lifttüren schlossen sich. »Was ist mit Ihren Leuten?«
    Er gab keine Antwort.
    Die Kabine setzte sich in Bewegung und glitt abwärts. Die Knöpfe reichten bis ins zweite Kellergeschoss, aber die Anzeige über der Tür wechselte gleich darauf von minus drei zu minus vier. Einmal flackerte das Licht, der Aufzug ruckelte leicht, aber dann ging es ohne Zwischenfall weiter. Im fünften Untergeschoss kam der Lift zum Stehen.
    Haven hatte sich die Waffe an einem Riemen über die Schulter gehängt. Er sah gealtert aus, grau und müde.
    Als sich die Tür öffnete, wurde davor ein Korridor mit weißen Wänden sichtbar. Es roch nach Chemie und Medikamenten.
    Wir waren jetzt tiefer unter der Erde als vorhin in den U-Bahn-Tunneln. Dies musste der Ort sein, an dem Whiteheads Wissenschaftler ihre Forschungen durchführten. Irgendwo hier unten war Flavie.
    »Wo ist Tyler?«, fragte ich, als wir aus der Kabine auf den Gang traten.
    Havens Schweigen blieb so stoisch wie seine Miene.
    Mir platzte der Kragen. »Welchen Zweck soll es haben, dass Sie uns retten und uns dann nicht sagen, was hier eigentlich los ist?«
    Als er schlagartig stehen blieb, hallte das Knallen seiner Stiefel von den kahlen Wänden wider. »Er ist hier. Ihr werdet ihn bald sehen.«
    »Was wollen Sie von uns?«, fragte Emma, ehe ich nachhaken konnte.
    »Ich war in der Überwachungszentrale, als ihr auf den Monitoren aufgetaucht seid.«
    »Sie hätten uns da draußen sterben lassen können.«
    Auch diesmal keine Antwort. Emma und ich tauschten einen Blick.
    »Danke«, sagte sie, »dass Sie es nicht getan haben.« Aber wie immer, wenn Emma sich bedankte, klang es nicht besonders dankbar.
    Er setzte sich wieder in Bewegung.
    »Wie kommt es, dass die Kameras noch funktionieren?« fragte ich. »Überhaupt, der ganze Strom …«
    »Die Versorgung des Gebäudes wird aus Hochleistungsgeneratoren gespeist. Die Energie für das Licht und die anderen Anlagen wird noch eine Weile reichen.«
    Ich dachte an das Ruckeln des Lifts, sagte aber nichts dazu.
    Haven fuhr fort: »Whitehead hat sich sorgfältig auf alle Eventualitäten vorbereitet, ganz besonders auf den Weltuntergang.« Das klang eine Spur zu verächtlich für einen Mann, der noch vor Stunden als ergebener Anhänger des Liebenden Lichts aufgetreten war.
    Da dämmerte es mir. »Wie geht es Ihrer Tochter?«
    Haven ging vor uns her, ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Äußerlich nahm ich keine Veränderung wahr, nicht einmal in seiner Haltung. Aber da war die Tatsache, dass er gerade Emmas Leben gerettet hatte – um mich war es ihm dabei ganz sicher nicht gegangen –, und auch die Stille hier unten war ein Anzeichen dafür, dass sich die Dinge nicht so entwickelt hatten, wie er es sich vorgestellt hatte.
    An der nächsten Korridorkreuzung bog er nach links. Die Beleuchtung flackerte. Ein Gang wirkte hier wie der andere, an alle grenzten weiße Türen mit Kunststoffüberzug. Der Boden war sauber und sah nicht aus, als wären heute schon Söldner mit Springerstiefeln darübergelaufen. Irgendetwas stimmte hier nicht.
    Als ich keine Antwort erhielt, fragte Emma geradeheraus: »Ist Tanya

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