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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Millionen Geistern noch vor kurzem nicht allzu plausibel geklungen hätte. Und dass wir weniger über sie wussten als über eine x-beliebige Sonne im Sternbild des Schwans. Vielleicht gab es jemanden, der ihr Lächeln ein- und ausschaltete wie eine Lichterkette. Jemanden mit roten Hörnern oder einem weißen Bart.
    Tyler drehte am Regler des kleinen Radios, doch aus dem Lautsprecher drang nur Knistern. Als er die Antenne weiter herauszog, erklang eine verzerrte Stimme, wenn auch nicht deutlich genug, um zu verstehen, welche Sprache sie benutzte.
    »Eben hat es noch funktioniert.«
    Er schimpfte leise auf Norwegisch, dann rammte er die Antenne in das Gerät und schob es zurück in seine Jacke.
    »Macht, was ihr wollt«, sagte er und ging zu seinem Motorrad. »In fünf Minuten bin ich weg. Und ihr solltet das auch sein.« Er nahm ein Teleskopfernrohr aus seiner Satteltasche, zog es auseinander wie ein Piratenkapitän und blickte erst nach Süden die Straße hinunter, dann nach Osten.
    Mit einem Durchatmen machte er sich zu Fuß auf den Weg zu den Geistern.
    »Was tut er denn jetzt?«, fragte Emma leise.
    Ich schaute ihm einen Augenblick nach, dann gab ich mir einen Ruck. »Komm, wir nehmen unser Zeug und fahren.«
    »Glaubst du ihm?«
    Ich hatte immer angenommen, dass das erste Anzeichen des Weltuntergangs ein Flammenpilz am Horizont sein würde, dann ein zweiter und schließlich so viele, dass es aussähe, als ob der Himmel selbst auf Säulen aus Feuer ruhte. Aber ein Lächeln ? »Klingt verrückt, oder?«
    »Das ist keine Antwort«, sagte Emma.
    »Ich weiß es nicht.«
    Sie massierte sich den Unterarm. »Er sieht ganz gut aus.«
    »Was für ein Argument ist das denn?«
    »Besser jedenfalls als der da.« Sie trat zu dem Leichnam des Amerikaners, um in sein entstelltes Gesicht zu blicken. »Vielleicht ist der Vergleich ein bisschen unfair.«
    Tyler hatte die Geister erreicht und zog aus den unerschöpflichen Taschen seiner Lederjacke eine Digitalkamera. Er lief von einer Erscheinung zur nächsten, kreuz und quer durch die Menge, und fotografierte jedes einzelne Gesicht. Hoffentlich wusste er, was er da tat. Und wie viel Zeit ihm bis zum nächsten Lächeln blieb.
    »Er sucht jemanden«, sagte Emma.
    »Möglich.«
    »Ich wette, es ist eine der zwölf, die fehlen.«
    Wie, zum Teufel, kam sie darauf?
    Aber sie wechselte schon wieder das Thema. »Ich mag seine Jacke.«
    Ich mochte seinen Hintern, aber das behielt ich für mich.
    Emma kletterte noch einmal in den Wagen des Amerikaners. Als sie wieder herauskam, hatte sie seinen Rucksack dabei. Wir sammelten die Flaschen auf und ich trug alle drei, während Emma das Gewehr behielt. Ich wusste nicht, was ich von Tylers Warnung und all dem anderen halten sollte, aber es wäre fahrlässig gewesen, überhaupt nicht darauf zu reagieren. Falls wirklich jemand da draußen in der Finsternis näher kam, dann konnte es nicht schaden, eine Waffe zu haben.
    Zurück am Mini warf ich die Flaschen auf die Rückbank, wo sie in Emmas Müllhalde versanken wie Schiffe in der Sargasso-See.
    »Anschnallen«, sagte ich, als wir beide saßen.
    Emma sah mich vorwurfsvoll an. »Aber die Welt geht gerade unter!«
    »Kein Grund, sich nicht an Verkehrsregeln zu halten.«
    »Blödsinn.«
    »Rote Ampeln dürfen überfahren werden. Falls wir wirklich die letzten Menschen sind.«
    Sie nickte, als wäre das ein Kompromiss, mit dem sie leben konnte. Dabei fiel ihr Blick auf den Boden vor ihrem Sitz. Sie bückte sich und hob die Happy-Meal-Gespenster auf. Kurz betrachtete sie das aufgemalte Grinsen der weißen Bettlakenköpfe, dann kurbelte sie das Fenster herunter und warf sie hinaus. Mit einem Ausdruck von Zufriedenheit lehnte sie sich zurück und befestigte den Sicherheitsgurt.
    Ich drehte den Schlüssel herum.
    Der Anlasser stotterte ein paarmal, dann herrschte Stille.
    »Shit.«
    Ich versuchte es erneut. Dann wieder. Der Motor sprang nicht an und wahrscheinlich war auch die Batterie bald hinüber.
    Mit beiden Händen schlug ich aufs Lenkrad. Emma blickte ruhig durch die Windschutzscheibe hinaus in die Nacht. »Also doch der andere Wagen«, sagte sie leise.
    »Ohne Schlüssel?«
    »Den können wir suchen.«
    »Fuck!« Wieder hieb ich mit der Faust auf die Armaturen und schloss für einen Moment die Augen, um nachzudenken. Dann versuchte ich es noch einmal mit der Zündung. Dasselbe Ergebnis, nur der Anlasser klang schwächer.
    »Also gut«, sagte ich.
    Aber Emma rührte sich nicht mehr. Sie hatte sich weit

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