Phantasmen (German Edition)
dann war nur noch das Säuseln des Windes zu hören.
Unvermittelt sagte Emma: »Wenn alles wahr ist, was er gesagt hat, dann sind Grandma und Granddad vielleicht tot.«
Ich wollte ihr widersprechen, noch einmal betonen, dass er vielleicht nur ein Spinner war. Doch ich ahnte, dass wir nicht interessant genug für ihn waren, um uns mit Lügengeschichten beeindrucken zu wollen. Wir waren eine Last, die er lieber früher als später loswerden wollte.
»Hast du das Handy noch mal ausprobiert?«, fragte ich.
Emma zog es aus der Hosentasche, schüttelte aber gleich darauf den Kopf. »Kein Netz.«
»Ich versteh das nicht. So abgelegen ist diese verdammte Wüste doch gar nicht.« Aber wie lange würden die Netze aufrechterhalten, wenn da draußen tatsächlich Millionen von Menschen dem Geisterlächeln zum Opfer gefallen waren? Falls Tyler nicht übertrieben hatte, dann war es schlimmer als jeder Atomkrieg: keine Explosionen und keine Strahlung, aber dafür auch kein Gegner, mit dem man verhandeln konnte, keine Schutzräume, kein Waffenstillstand. Die Leute starben einfach an Herzversagen und aus jedem Toten entstand ein neuer Geist, dessen Lächeln weitere Opfer forderte. Es war ein Dominoeffekt, der vor niemandem haltmachte und seine Wirkung im Sekundentakt multiplizierte.
Ich wartete auf Sorge um meine Großeltern, spürte aber nichts. Ich hatte ihnen nie den Tod gewünscht, aber ich stellte fest, dass die Möglichkeit, sie könnten unter den Opfern sein, mich nur vage betroffen machte. Am ehesten tat es mir leid für Emma.
»Tyler?«, rief ich zum Eingang hinauf.
Der Nachthimmel war schon vor einer Weile aufgerissen, die Wolkenränder grau marmoriert vom Licht der Mondsichel. Davor erhob sich der Kuppelturm der Sternwarte wie ein teerschwarzes Grabmal. Der Geist in der Auffahrt starrte apathisch zum Horizont.
»Tyler!«
Wieder keine Antwort.
Emma hatte sich fröstelnd die Arme um den Oberkörper gelegt. Vielleicht fand ich drinnen eine Jacke für sie.
»Ich sehe mal nach ihm«, sagte ich. »Bleib du hier und pass auf die Lichter unten in der Wüste auf.«
Sie nickte. »Sei vorsichtig.«
»Keine Sorge.«
Ich machte ein paar Schritte die Auffahrt hinauf und wich dann zur Seite in das Felsgeröll aus. Dabei ließ ich das Gesicht nicht aus den Augen.
Nach wenigen Metern wurde das Gelände immer unzugänglicher. Ich kam nicht weiter und musste notgedrungen zum Weg zurückkehren. Ich befand mich jetzt mitten im tödlichen Radius und sprintete los, so schnell ich konnte. Etwas schien in meinen Rücken zu pressen, eine Woge eisiger Luft, aber als ich das Gebäude erreichte, verschwand das Gefühl. Nur Einbildung, aber ich fror bei der Vorstellung, noch einmal denselben Weg nehmen zu müssen.
»Alles in Ordnung?«, rief ich Emma zu, die ich jenseits des Totenlichts am dunklen Ende der Auffahrt nicht mehr sehen konnte.
»Ja, alles ruhig. Geht’s dir gut?«
»Nichts passiert! Ich geh jetzt rein.«
Ich wappnete mich für das Schlimmste und trat über die Schwelle.
12.
Erneut rief ich Tylers Namen und bekam keine Antwort.
Ich befand mich in einem Büro, dessen Wände mit astronomischen Karten und Tabellen bedeckt waren. Auf einem Schreibtisch waren lose Papiere und Bücher verstreut. Nordlichter glitten als Bildschirmschoner über einen Computermonitor.
Mitten im Raum standen zwei Geister, zu ihren Füßen lagen Männer in schwarzen Kampfanzügen. Auf ihren Ärmeln prangten stilisierte Löwenköpfe. Der eine Söldner war sterbend über einer Ablage zusammengebrochen und hatte eine Menge Papier mit zu Boden gerissen. Der andere musste versucht haben, eine Tür an der Rückseite zu erreichen. Wahrscheinlich waren sie beim letzten Lächeln gestorben. Der Radius des Geistes in der Auffahrt reichte demnach bis hierher; und auf Grund dieser beiden war fortan das gesamte Gebäude eine Todesfalle. Möglich, dass die oberste Etage des Kuppelturms gerade weit genug entfernt lag, aber alle anderen Räume und Etagen befanden sich im Einflussbereich der Erscheinungen.
Ich atmete tief ein, rannte an den beiden vorüber und durch die hintere Tür in eine winzige Küche. Von dort aus führte ein weiterer Durchgang in ein Treppenhaus. Neben den Stufen standen ein paar Plastikkisten ohne Deckel, es roch beißend nach Lösungsmitteln oder Benzin. Ohne innezuhalten, stürmte ich die Treppe hinauf, bis ich in zwanzig Metern Höhe die Kuppeletage erreichte. Erst dort blieb ich stehen und schaute zurück in den Schacht. Der Schimmer
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