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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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des Totenlichts wurde vom feuchten Boden reflektiert. Hier oben kam mir der Gestank noch intensiver vor. Und dann sah ich auch die grünen Plastikkanister, die achtlos beiseitegeworfen worden waren.
    Bevor die beiden Männer ums Leben gekommen waren, mussten sie literweise Brandbeschleuniger im Erdgeschoss verschüttet haben. Auf einmal war ich sicher, dass ich bei einem zweiten Blick in die Kisten Plastiksprengstoff und Zünder finden würde. Ein einziger Funke würde genügen, um die Sternwarte hochgehen zu lassen wie ein Neujahrsfeuerwerk.
    Die Tür zur Kuppel stand offen. Das gigantische Teleskop saß auf einem motorisierten Schwenkarm und wies schräg zur gewölbten Stahldecke. Computer und Aufzeichnungsgeräte voller Displays, Zeiger und Knopfreihen waren rundum aufgereiht, davor lag ein umgekippter Drehstuhl. Entlang einer senkrechten Nahtstelle an der Innenseite ließ sich die Kuppel teilen, damit das Teleskop freie Sicht auf den Nachthimmel hatte.
    Tyler stand mit dem Rücken zu mir über einen Tisch gebeugt, beide Hände an der Kante aufgestützt, und bewegte sich nicht. Vor ihm waren Fotografien an die Wand geheftet, mehrere Reihen neben- und übereinander. Keines der Bilder zeigte Gestirne.
    »Tyler!«
    Erschrocken wirbelte er herum, wirkte erst ertappt, dann ärgerlich. »Was hast du denn hier verloren?«
    »Ich hab dich gerufen, unten im Erdgeschoss, und als du nicht geantwortet hast, hab ich dich gesucht.«
    »Wenn diese Kerle lächeln, sitzen wir hier oben fest.«
    »Was ist das für ein Zeug unten im Treppenhaus? Sprengstoff?«
    Er nickte. »Sie sind wohl nicht mehr dazu gekommen, den ganzen Spaß zu zünden.«
    »Dann lass uns abhauen!«
    Er schüttelte den Kopf. »Das hier solltest du dir ansehen.«
    Bevor ich die Fotos an der Wand betrachtete, kreuzte ich noch einmal seinen Blick. Das dichte, dunkle Haar hing ihm in die Stirn und beschattete seine Augen. Er wirkte zornig, aber jetzt verstand ich, dass seine Wut nicht mir galt.
    »Du warst von Anfang an hierher unterwegs«, sagte ich. »Irgendwas hast du hier gesucht.«
    »Ich war verabredet. Mit Javier Molina – dem Toten unten vor dem Haus. Aber Lionheart war schneller als ich.«
    Zögernd wandte ich mich den Bildern zu.
    Die oberen Reihen zeigten ein gewaltiges Solarfeld in der Wüste, endlose Reihen aus spiegelnden Sonnenenergiezellen. Die Anlage war aus großer Entfernung mit einem starken Teleobjektiv fotografiert worden. Auf einigen Bildern waren Fahrzeuge zu sehen, einzeln und in Kolonnen, die durch ein bewachtes Tor auf das Gelände fuhren. Mit Filzstift hatte jemand Hot Suite an den Rand des letzten Fotos geschrieben.
    Darunter hingen Fotos eines bizarren Hauses mit blauer Fassade und zahllosen Erkern. Das Bauwerk erweckte den Eindruck, als hätte man die verschachtelte Architektur eines chinesischen Tempels im europäischen Stil nachahmen wollen. El Xanadú Dos stand in Druckbuchstaben unter einer digitalen Datumsanzeige. Auf einem der Bilder parkte in der Auffahrt des Gebäudes ein silberner Mercedes und funkelte im Sonnenschein.
    Das blaue Haus stand auf einem felsigen Hügel. Erst auf den nächsten Fotos erkannte ich, dass es sich unweit des Solarfeldes befand und die Anlage überschaute wie ein avantgardistischer Wachturm. Die Szenerie wirkte irreal in ihrer Kombination aus verspielter Baukunst und blitzblankem Hightech.
    Die unteren Bildreihen betrachtete ich zuletzt, und nun verstand ich, was Tyler derart gefesselt und verstört hatte.
    Auf den Fotos war eine Straße in der Wüste zu sehen, auch diese Bilder ein wenig verschwommen. Die Pixelstruktur verriet, dass es sich um vergrößerte Ausschnitte handelte. Vage ließen sich Männer in Schwarz erkennen, die mit einem Wagenkonvoi in der Einöde eingetroffen waren und neben dem grauen Asphaltstreifen auf etwas warteten.
    »Lionheart?«, fragte ich.
    »Ja.«
    Auf dem Bild war ein Datum vermerkt, das ich nur zu gut kannte. Es war der Tag, an dem meine Eltern in den Trümmern von IB259 ums Leben gekommen waren.
    Mein Blick wanderte über die nächsten Aufnahmen. Auf einer stand der silberne Mercedes vom blauen Haus neben dem Konvoi. Die Fahrertür war offen. Ein Mann mit weißem Haar schien mit den Uniformierten zu reden. Die Fotos waren viel zu unscharf, um Gesichter zu erkennen. Auf dem nächsten Bild entfernte sich der Mercedes wieder. Die Söldner schienen auf etwas zu warten, und es war nicht schwer zu erraten, worauf.
    »Scheiße«, flüsterte ich. »Wie lange weißt du schon

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