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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Emma zu verlieren.
    »Es ist ganz einfach«, sagte Tyler und startete die Black Shadow. »Du kommst mit oder du bleibst.«
    Sprachlos vor Wut starrte ich ihn an. Zugleich widerstrebte mir die Vorstellung, ihn einfach so ziehen zu lassen. In diesem Moment – gerade mit dem Leben davongekommen, schmutzig, erschöpft, durcheinander – hatte ich noch immer kein klares Bild von ihm. Er machte kein Geheimnis daraus, dass ihn einzig das Schicksal seiner französischen Freundin antrieb. Und wahrscheinlich hätte mich das dazu bringen müssen, auf Distanz zu gehen. Dummerweise verstand ich ihn nur zu gut: Ich hätte dasselbe für Emma getan.
    Ungünstig auch, dass meine Schwester gerade zum Feind überlief. »Ich würde gern mitfahren«, sagte sie.
    Tyler und ich sahen uns an. Dieser Streit war lächerlich, und wir wussten es beide. Was spielte es für eine Rolle, ob wir in die eine oder in die andere Richtung fuhren? Ohne Nahrung und Wasser würden wir nicht lange durchhalten. Früher oder später mussten wir zurück in die Zivilisation. Und ein abgelegenes Haus klang in unserer Lage einladender als eine Stadt voller Geister.
    »Okay«, sagte ich, »sehen wir es uns an. Aber falls Lionheart dort Quartier bezogen hat, kannst du allein den Helden spielen.«
    Er ließ Emma wieder vor sich Platz nehmen, während ich mit zwiespältigen Gefühlen hinter ihn rückte.
    Diesmal sagte er nicht »Festhalten!«, sondern gab wortlos Gas.
    Ein paar Minuten später passierten wir die Absturzstelle. Auf dem Asphalt lagen keine Toten, doch neben den Geistern von IB259 stand eine Reihe neuer Erscheinungen. Vielleicht zehn, aber ich zählte sie nicht. Unser Mini war ausgebrannt. Aus dem Geländewagen des Amerikaners züngelten noch Flammen, die Söldner hatten seine Leiche hinters Steuer gesetzt. Wer war er gewesen? Warum das Gewehr? Und was hatte es mit Tylers ominöser Andeutung auf sich, dass der Kerl ihn verfolgt hatte?
    Die Geister lächelten noch immer. Tyler fuhr einen größtmöglichen Bogen durch unwegsames Gelände, und bald erreichten wir wieder die Straße. Die Wolkendecke war weiter aufgerissen, der Qualm der brennenden Sternwarte verzog sich allmählich. Tyler ließ den Scheinwerfer ausgeschaltet und orientierte sich im Mondlicht am dunklen Asphalt.
    Ich hatte angenommen, dass er zur Schnellstraße 340 zurückkehren würde, die als Hauptroute die Wüste durchquerte. Aber lange bevor wir die ersten Ansiedlungen oder gar Tabernas erreichen konnten – vereinzelte Lichter am Horizont, bei deren Anblick ich jetzt eine Gänsehaut bekam –, bog er nach links ab. Im Vorbeifahren las ich auf einem Schild das Wort Solar , mehr war im Dunkeln nicht zu erkennen.
    Wir folgten einem ausgefahrenen Feldweg. Der Konvoi war längst verschwunden. Wir sahen keine anderen Fahrzeuge, obwohl es hier draußen Menschen geben musste, die während der vergangenen vierundzwanzig Stunden keinem Geist begegnet waren. Manche mochten nach den ersten Hiobsbotschaften im Radio in die Ortschaften gefahren sein, um dort mehr zu erfahren. Aber ganz sicher gab es Überlebende auf den abgelegenen Gehöften. Selbst wenn in einer Gegend wie dieser noch viele Menschen zu Hause starben, waren doch bislang nur die Geister der letzten drei Jahre zurückgekehrt. Es musste genügend Anwesen geben, die fürs Erste eine sichere Zuflucht boten. Womöglich war das der Grund, warum die Straßen wie leer gefegt waren. Wer ein Zuhause ohne Geister hatte, würde es jetzt nicht mehr verlassen.
    Rechts von uns tauchten Lichter auf, eine lange Kette aus weißen Punkten inmitten der Finsternis.
    »Das ist es«, rief Tyler über die Schulter.
    »Sind das Geister?«, fragte Emma.
    »Zu regelmäßig«, sagte ich. »Das könnten Neonlampen an der Umzäunung sein.«
    Das Solarfeld war noch mehrere Kilometer entfernt, ausgebreitet über die Ebene wie ein gigantisches Kettenhemd. Links davon sah ich eine Erhebung, den Umriss eines Hügels.
    »Da oben!«, rief Emma.
    Tyler brachte das Motorrad mitten auf dem Weg zum Stehen. Ich brauchte einen Moment, ehe ich sah, was Emma meinte. Zwei Sterne bewegten sich und sanken auf die ferne Lichterkette zu. Wenig später verschmolz der erste mit ihr, der zweite folgte kurz darauf. Die Hubschrauber landeten auf dem Gelände des Solarfelds.
    »Willst du immer noch dahin?«, fragte ich Tyler.
    »Erst mal zum Haus.«
    Was konnten wir schon tun, als bei ihm zu bleiben? Er fuhr wieder los und hielt auf die Erhebung zu. Wir folgten einer Sandpiste, die

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