Phantasmen (German Edition)
vom Hauptweg abzweigte.
Sie haben Mum und Dad ermordet. Und ich will wissen, warum.
Emmas Stimme flüsterte wie ein Echo in meinen Gedanken. Vielleicht war es an der Zeit, mir einzugestehen, dass es mir ebenso erging wie ihr. Falls das blaue Haus Antworten bereithielt, dann war es richtig, dorthin zu gehen.
Vom Solarfeld drang Maschinenlärm herüber, der das Knattern der Black Shadow übertönte. Automotoren, Hubschrauber, aber auch noch etwas anderes. Ein hydraulisches Quietschen. Dazu ab und zu ein Hupen. Ich fragte mich, was Lionheart jenseits der Lampenkette veranstaltete.
Irgendwann stieg das Gelände an. Was eben noch ein schwarzer Buckel vor dem Horizont gewesen war, wurde nun zu einem sandigen Hang, der vor Jahren mit Olivenbäumen bepflanzt worden war. Der Hain wirkte verwildert, die Bäume waren abgestorben. Trockenes Buschwerk und verfilztes Gras wuchsen zwischen den Stämmen.
Tyler ließ das Motorrad ausrollen. Der Weg schlängelte sich zwischen den Olivenbäumen und scharfkantigen Felsen bergauf. Es musste noch ein gutes Stück bis zur Kuppe sein, von hier aus war sie nicht zu sehen. Wir waren zuletzt in einem Bogen um den Hügel gefahren und befanden uns nun an der Rückseite, außer Sichtweite des Solarfelds, mit dem Rücken zur Sierra de Los Filabres. Falls das blaue Haus wirklich dort oben war, stand es auf der anderen Seite mit Blick auf die Anlage.
Tyler schob die Maschine zwischen die Baumgerippe und rollte einen kopfgroßen Stein als Markierung auf den Weg. Diesmal machte ich keinen Versuch, Emma davon abzuhalten, uns zu begleiten.
Als die Hügelkuppe vor uns im Mondschein auftauchte, verließen wir den Weg und bewegten uns das letzte Stück durch die Schatten der Bäume. Mit jedem weiteren Schritt schob sich ein gewaltiger Umriss hinter dem Gipfel empor, so als bräche eine bizarre Pyramide aus dem Boden, übersät mit Kanten und Winkeln. Sogar im Dunkeln war das blaue Haus ein imposanter, fremdartiger Bau, und hätte ich zuvor nicht das Foto gesehen, hätte ich kaum einordnen können, was genau wir da vor uns sahen.
El Xanadú Dos hatte unten auf dem Bild gestanden. Im Flüsterton fragte ich Tyler, worauf sich die Zwei, Dos , beziehen könnte, aber er zuckte nur mit den Achseln.
Vereinzelt brannte Licht hinter Fenstern, die so wahllos über die Fassade verteilt waren, dass ich nicht erkennen konnte, wie viele Stockwerke das verschachtelte Haus eigentlich hatte.
»Da drüben sind Männer«, raunte Emma, während wir im Gebüsch kauerten.
Drei Söldner lungerten am Fuß einer langen Treppe herum, die im Zickzack den klobigen Sockel des Hauses hinaufführte. Wer immer diesen Bau entworfen hatte, hatte niemals Einkaufstaschen in den sechsten Stock schleppen müssen.
Ich hielt Ausschau nach Patrouillen und weiteren Söldnern, konnte aber keine entdecken. Die drei spielten im Schein eines Lagerfeuers Karten, lachten und scherzten miteinander.
»Was für Wächter sind das denn?«, flüsterte Tyler. »Jedes Kind kommt an denen vorbei.«
»Die sind nicht hier, um jemanden fernzuhalten.« Plötzlich war ich ganz sicher. »Sie bewachen jemanden, der da drinnen ist! Vielleicht sogar jemanden, der nicht aus eigener Kraft verschwinden kann.«
Mondlicht schimmerte in Tylers Augen. »Wie kommst du darauf?«
»Sieh sie dir an. Die sind überzeugt, dass sie den bequemsten Job der Welt haben. Die haben keine Sorge, tatsächlich mit irgendwem kämpfen zu müssen. Sie sitzen nur zur Abschreckung da.« Ich hatte Männer wie sie in Afrika gesehen, Wachsoldaten an Orten, an denen es eigentlich nichts zu bewachen gab. Ich erkannte es an ihrer Körperhaltung. Es ging nur darum, Präsenz zu zeigen.
Als Tyler die Stirn runzelte, sagte Emma: »Rain hat Erfahrung in solchen Dingen. Du solltest ihr besser glauben.«
Da spielte ein Lächeln um seine Mundwinkel. Er sagte nichts, aber in seinem Blick erwachte etwas, das vorher nicht da gewesen war. Ein Anflug von Respekt. Neugier vielleicht.
»Ein Haus mit so vielen Erkern und Fenstern hat doch sicher mehr als nur einen Eingang.« Was mich ritt, ihn in seinem Plan zu bestärken, wusste ich schon nach fünf Sekunden nicht mehr.
Wir schlichen wieder ein Stück den Berg hinab und umrundeten El Xanadú Dos im Schutz des Olivenhains. Der Wind wurde stärker und wehte erneut den Lärm vom Solarfeld herüber. Was immer Lionheart hinter der Umzäunung trieb – ich war dankbar, dass sie dort waren und wir hier.
Bald stießen wir auf eine zweite Treppe und eine
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