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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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letzte Stand war jedenfalls, dass niemand mehr raus- oder reinkommt und alles unter dem Kommando der Armee steht.«
    Haven fluchte leise. Er wechselte einen Blick mit Peterson, und da verstand ich, dass der Arzt bei allen Differenzen Havens einziger Vertrauter war. Vielleicht weil nur Peterson noch ein Funken Idealismus in den Knochen steckte. Haven tat das alles für seine Tochter. Der Arzt mochte ethische Gründe haben. Die Übrigen aber waren Männer, denen es einzig um ihren Sold ging – und es war ungewiss, wer ihnen den in Zukunft zahlen sollte.
    »Sind wenigstens die Hubschrauber startbereit?«, fragte Haven den Lieutenant.
    Keene nickte und deutete zu einer Ecke des Flugfeldes, die im Mondschatten des Towers lag. Erst jetzt erkannte ich, dass dort zwei unbeleuchtete Helikopter standen wie riesige Insekten. Sie waren ungleich größer als die beiden in Spanien. Dies hier waren Transporter, in denen zehn oder noch mehr Männer Platz finden konnten.
    »Ist es klug, sich mit der Armee anzulegen?«, fragte Peterson.
    »Schmeckt mir auch nicht«, gab Haven zu, »aber wir haben keine Wahl. Wir müssen die Probanden zu Whitehead in die Stadt bringen.« Er warf Tyler einen Blick zu. »Und vor allen Dingen ihn.«
    »Lassen Sie wenigstens die Mädchen hier«, sagte Tyler.
    Emma sah sehr verloren aus in der viel zu großen Lederjacke. Ich hingegen trug nach wie vor nichts als die Cargohose und das schwarze Blondcore -T-Shirt, und ich fror erbärmlich.
    Haven ging nicht auf Tylers Bitte ein, sagte aber zu Keene: »Geben Sie der Kleinen Ihren Schal, Lieutenant. Und haben Sie noch andere warme Sachen im Tower?«
    » Meine Sachen?«, fragte Keene unglücklich, während er Emma den Schal zuwarf. Sie fing ihn auf, roch einmal vorsichtig daran, verzog die Nase, wickelte ihn sich dann aber um den Hals.
    »Herrje, Lieutenant, irgendwelche Sachen!«
    »Es wird schon was da sein, Colonel. Ich seh gleich mal nach.«
    »Irgendwas für die beiden Mädchen, das passt und einigermaßen wärmt. Und bringen Sie ihnen etwas zu essen und zu trinken zu den Hubschraubern.«
    Keene salutierte, wobei ich mich fragte, ob er die Geste nicht eher trotzig als respektvoll meinte.
    Tyler versuchte es noch einmal. »Nehmen Sie Rain und Emma nicht mit. Sie wollen doch nur mich.«
    »Ich soll die beiden bei diesem Säufer lassen?« Haven blickte dem Lieutenant verächtlich nach. »Glauben Sie mir, das wollen Sie nicht.«
    Zu Peterson und den anderen sagte er: »Die Männer sollen sich mit dem Umladen beeilen. Start in dreißig Minuten.«

36.
    Der Flugplatz, von dem aus wir aufbrachen, lag mehr als hundert Kilometer nördlich von Manhattan. Hier ähnelte der Hudson eher einem riesigen See. Haven hatte vor dem Start Befehl gegeben, dicht über der dunklen Wasseroberfläche zu fliegen. Niemand wusste, wie engmaschig die Radarüberwachung nach so vielen Smilewaves noch war.
    Haven hatte über die Hälfte seiner Männer bei Keene zurückgelassen, vorgeblich zum Schutz der Maschine. Ich hatte den Eindruck, dass er die schwächsten Mitglieder des Trupps aussortiert hatte. Zu meiner Erleichterung waren darunter auch jene drei, die uns während des Fluges bewacht hatten.
    Den Rest seines Kommandos und auch uns Gefangene hatte er in zwei Gruppen aufgeteilt. Emma und ich flogen mit Peterson und fünf weiteren Männern im einen Hubschrauber, Tyler und Haven mit sechs Söldnern im anderen. Wir saßen uns an den Wänden gegenüber und stießen fast mit den Knien aneinander. Es gab keine Trennwand zum Cockpit, so dass wir durch die gewölbte Scheibe die schwarze Landschaft vorüberziehen sahen. Die Lichter, die dort draußen glühten, mochten Fenster oder Geister oder beides sein.
    An Bord jeder Maschine befanden sich zwei Probanden. Ihre sperrigen Schlafkammern hatten zurückbleiben müssen. Daher waren die vier anästhesiert, mit Gurten umschnürt und in graue Decken gewickelt worden, aus denen nur ihre eingefallenen Gesichter hervorschauten. So lagen sie im Heck der Helikopter auf dem Boden, vor Kisten mit Unterlagen aus der Hot Suite.
    Ich bemerkte, dass Emma den beiden immer wieder Blicke zuwarf. Es handelte sich um einen Mann und eine Frau, beide grau und abgemagert, mit wild gewachsenem, verfettetem Haar. Der Mann hatte einen zotteligen Bart. Zwischen ihren Augen und Schläfen ragten münzgroße Metallzylinder aus der Haut, rundum war das Fleisch zu wulstigem Narbengewebe verwachsen. Von beiden Probanden ging ein strenger Geruch aus, doch es war nicht der

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