Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
kurzerhand mit der Schulter beiseiteschob und vor meiner Schwester in die Hocke ging. Emma, deren Hände nicht gebunden waren, umarmte mich.
    Wenig später verließen wir gemeinsam mit dem Söldnertrupp das Flugzeug. Doktor Peterson zerschnitt den Kabelbinder an unseren Handgelenken und bis heute bin ich nicht sicher, ob er das in Havens Auftrag oder auf eigene Verantwortung tat.
    Draußen herrschte noch Dunkelheit, es musste gegen fünf Uhr am Morgen sein. Im Vergleich zur Wüstenhitze Andalusiens war es eiskalt. Ein scharfer Wind peitschte uns entgegen. Man hatte Tyler die Lederjacke zurückgegeben, mit geleerten Taschen. Er zog sie aus und bot sie mir an, aber ich schüttelte den Kopf und deutete auf meine Schwester. Sie nickte nur, als er sie ihr um die Schultern legte. Gleich darauf schlüpfte sie ganz hinein, die Ärmel hingen ihr bis zu den Knien.
    Wir befanden uns auf einem weiten Asphaltfeld mit zwei Hangars und einem dreistöckigen Tower. Es handelte sich augenscheinlich nicht um eine militärische Anlage, dafür waren die Sicherheitsvorkehrungen nicht hoch genug. Ringsum wellten sich Hügel, dicht bewaldet, soweit ich das im Mondschein erkennen konnte.
    »Wir sind in Upstate New York«, sagte Peterson, der an unserer Seite blieb, während wir das Flugfeld in Richtung der Gebäude überquerten. Er deutete nach links, wo sich das Gelände hinter einem Maschendrahtzaun in ein Tal absenkte. »Ihr könnt ihn von hier aus noch nicht sehen, aber da unten fließt der Hudson. In den Wäldern gibt es eine ganze Menge Landsitze reicher Städter, das hier ist … oder war ihr Privatflugplatz. Die meisten haben sich bestimmt längst mit ihren Learjets und Turboprops auf irgendwelche Inseln davongemacht. Aber wohin flieht man dort, wenn eine Smilewave den Weg zum Flugplatz und zum Jachthafen versperrt?«
    »Das hier ist keine Fremdenführung«, sagte Haven zu dem Arzt.
    »Wollen Sie mich gerade jetzt feuern, Colonel?«
    Haven und ein halbes Dutzend weitere Männer begleiteten uns, während der Rest an der Maschine zurückgeblieben war. Dort wurden die Motoren der Wagen angelassen, die ersten rollten gerade ins Freie. Gleich würden die Probanden verladen werden.
    Der Colonel warf Peterson einen schwer zu deutenden Seitenblick zu, verzichtete aber auf eine Antwort. Auch die übrigen Söldner hielten sich heraus; wahrscheinlich geschah es nicht zum ersten Mal, dass Haven und der Arzt aneinandergerieten.
    Peterson warf einen Blick über die Schulter und seufzte. »Das Licht dort drüben, hinter den Bergen, das ist New York.«
    Bislang war das Flugzeug im Weg gewesen, aber jetzt hatten wir uns weit genug davon entfernt, um den Himmel dahinter sehen zu können. Jenseits der Bergkuppen waberte eine diffuse Helligkeit: der Smog einer Großstadt, der von innen heraus erleuchtet wurde.
    Ein Mann eilte uns aus Richtung des Towers entgegen. Der Schein seines Handstrahlers zuckte bei jedem Schritt wild umher. Er trug eine schwarze Lionheart-Uniform mit hochgekrempelten Ärmeln und wickelte sich mit einer Hand einen Schal um den Hals. Sein dunkles Haar war zerzaust, der Reißverschluss des Overalls stand offen bis zur Brust. Mit dem Mann wehte der Geruch von abgestandenem Bier heran.
    Haven blieb stehen. »Ich bedauere außerordentlich, dass Sie unseretwegen frieren müssen, Lieutenant Keene«, sagte er mit eisiger Stimme.
    »Guten Morgen, Colonel Haven.« Keene nickte erst ihm zu, dann Peterson, der ihn beim Vornamen nannte und grüßte. Uns andere ignorierte er und fummelte ungeschickt weiter an dem Schal herum, diesmal um ihn wieder herunterzuziehen.
    »Um Himmels willen, Keene«, fuhr Haven ihn an, »lassen Sie dieses Ding in Frieden und erstatten Sie Bericht!«
    Der Mann ließ den Schal auf der Stelle los. »Ich habe seit Stunden keinen Kontakt mehr zum Hauptquartier, genauso wenig zu Mister Whitehead. Die ganze Stadt wurde abgeschottet. Das Militär hat sämtliche Brücken und Tunnel von Manhattan in die Vorstädte dicht gemacht. Im Grunde war natürlich längst alles zu, auf den Straßen ging am Abend gar nichts mehr. Die Autokolonnen blieben irgendwann einfach stehen, und nachdem die ersten Leute in ihren Wagen von einer Smilewave erwischt wurden, muss es wie ein Lauffeuer gewesen sein. Anfangs gab es noch Fernsehbilder, bald aber nicht mal mehr Strom. Ich hab das von der Abriegelung im Radio gehört … als das Radio noch funktioniert hat. Da war von Gegenmaßnahmen wegen der Plünderungen die Rede und so weiter … Der

Weitere Kostenlose Bücher