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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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aufsetzten. Sie verfielen in spastische Zuckungen und sprengten mit übermenschlicher Kraft ihre Fesseln. Die Gurte fielen schlaff von ihnen ab, dann schlugen sie die grauen Decken auseinander. Darunter kamen ihre mageren Leiber zum Vorschein, Haut und Knochen und ein Netz aus Sehnen, das sie wie Lederschnüre zusammenhielt.
    »Greift sie euch!«, brüllte Peterson und langte nach den Spritzen in der Tornistertasche.
    Die Söldner am Ende der Sitzreihen rissen ihre Waffen herum.
    »Nicht schießen!«, erklang über Lautsprecher Havens Befehl, aber ich begriff erst einen Augenblick später, dass er nicht uns galt. Drüben im zweiten Helikopter musste gerade das Gleiche geschehen. Schreie und Rufe gellten durcheinander, und bald war kaum mehr zu unterscheiden, ob sie von den Männern hier an Bord oder von denen in der anderen Maschine ausgestoßen wurden.
    »Ihr habt’s gehört!«, rief Peterson den Söldnern zu. »Keine Waffen!«
    Die Probanden warfen sich auf die Männer, grau und nackt und scheußlich anzusehen. Ein Schuss peitschte und stanzte ein Loch in die Metallhaut des Helikopters. Ich sah nur ein Durcheinander aus Armen und Beinen in schwarzen Overalls, die dürren Glieder der Probanden und ihre verzerrten Gesichter.
    »Setz dich zu deiner Schwester!«, schrie Peterson in meine Richtung. »Wir brauchen Platz hier hinten!«
    Ich kletterte zwischen den Sitzen hindurch zu Emma. Sie starrte mich aus großen Augen an und rückte bis an die Tür; trotzdem war es zu eng für uns beide. Der Pilot fluchte unablässig in sein Headset, während er versuchte, den Helikopter trotz des Tumults an Bord auf Kurs zu halten.
    Ich konnte den zweiten Hubschrauber mit Tyler nicht sehen, er musste ein Stück hinter unserem sein.
    Haven brüllte wieder Befehle, auf die niemand bei uns hörte, denn nun schrie einer der Männer wie am Spieß, und als ich mich umsah, riss der weibliche Proband ihm mit bloßen Fingern die Kehle auf. Wieder feuerte jemand, Männer taumelten übereinander, und dann schoben sich die Probanden zwischen ihnen hervor, um nach vorn zu gelangen, dem Licht hinter den Cockpitscheiben entgegen.
    Plötzlich stand Peterson hinter ihnen, in jeder Hand eine Spritze wie einen Dolch, und spie die Plastikkappen aus, die er mit den Zähnen von den Kanülen gezogen hatte. Er holte aus, um sie den beiden in die Körper zu rammen – als die Frau einen Satz nach vorn machte. Wie eine Heuschrecke sprang sie hinterrücks auf den Piloten, umklammerte ihn und seinen Sitz. Der Mann schrie auf, als sie mit ihrer Klaue nach seinen Augen tastete. Seine Hand stieß gegen den Steuerknüppel, und mit einem Mal rasten wir abwärts, auf das Wasser und die Kais der Hafenanlage zu.
    Peterson schwankte und stürzte auf den Probanden, verlor eine Spritze und versuchte mit der zweiten zuzustechen. Aber auch Jacobs und die anderen setzten sich in Bewegung, um die Frau von dem Piloten fortzureißen, alles auf engstem Raum, wo jeder jedem im Weg war und die beiden Kreaturen tobten wie Berserker.
    »Anschnallen!«, brüllte ich Emma an, aber sie bekam den Gurt nicht zu fassen, weil er irgendwo unter mir lag. Ich tastete danach, doch bei all dem Gerüttel fand ich ihn nicht. Stattdessen beugte ich mich nach links, um dem Piloten zu helfen. Ich packte den Arm der Probandin und zog daran. Doch ihre Finger gruben sich nur noch fester in das Gesicht des Mannes. Er brüllte vor Schmerz, ließ den Steuerknüppel los und verlor damit endgültig die Kontrolle über den Helikopter.
    Alle schrien jetzt durcheinander. Wir sanken tiefer, der Hubschrauber schlenkerte nach rechts und links, drehte sich dann um sich selbst. Lichterschlieren rasten an den Scheiben vorüber. Vor dem Angriff war der Pilot in einer Kurve vom Fluss in Richtung Manhattan geflogen, aber ich konnte nicht erkennen, ob unter uns noch die Wasseroberfläche war oder wir schon auf die Gebäude zurasten.
    Noch einmal versuchte ich, den Mann von der Furie zu befreien. Ich schlug mit aller Kraft nach ihrem Kopf, erwischte sie so hart, dass sie noch lauter kreischte, und ergriff erneut ihren Arm. Der Pilot versuchte, ihre Finger nach hinten zu biegen und sie von seinem Gesicht zu lösen. Aber noch immer lag ihre knochige Klaue wie eine Krabbe auf seinen Zügen.
    Und dann war Jacobs da, legte ihr von hinten einen Arm um den Hals und fuchtelte mit seiner Pistole. Einmal zeigte der Lauf in meine Richtung, aber mir blieb keine Zeit, um mir deswegen Sorgen zu machen. Alles ging viel zu schnell.

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