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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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das Gleiche dachte: Weder der Colonel noch wir anderen hatten die leiseste Ahnung, was uns auf der anderen Seite des Ozeans erwartete.
    Und dann kam der Moment, in dem die Antonov in den Sinkflug ging und die Geister der amerikanischen Ostküste unter uns auftauchten.
    Von unserem Fenster aus sahen Tyler und ich die Ballungen aus Totenlicht, die sich am Ufer des Atlantiks entlangzogen, all die Orte und Städte, die zwischen New York und Boston ineinander übergingen. Wir mussten das Festland ein gutes Stück nördlich des Big Apple erreicht haben. Soweit ich das erkennen konnte, war die Stadt auch von den Fenstern auf der anderen Seite aus nicht zu sehen.
    Bald begann die Maschine zu ruckeln und zu schaukeln. Die Motorengeräusche des Landeanflugs klangen in dem kahlen Laderaum hundertmal bedrohlicher als im lärmgeschützten Inneren einer Passagierkabine. Der Rumpf knirschte und ächzte und die Turbinen heulten erbärmlich. Die Vibration der Tragflächen übertrug sich auf den Rest der Maschine und fühlte sich an wie Flügelschlag.
    Alle eilten zu ihren Plätzen und zurrten die Gurte fest. Als mir bewusst wurde, dass niemand daran dachte, Emma aus dem Spalt zu ziehen, schrie ich die Männer im hinteren Teil der Maschine an, sie dort rauszuholen und anzuschnallen. Falls sich die schweren Probandenkammern durch die Erschütterungen aus ihren Verankerungen lösten, würden sie Emma an der Wand zerquetschen. Und wieder war es Peterson, der durch den Laderaum herbeistürmte, taumelnd und fluchend, weil das Flugzeug sich bereits steil nach unten neigte. Er packte meine Schwester, die plötzlich die Augen aufschlug, hob sie aus der Nische und setzte sie wie ein Kind auf ihren Platz. Sie sagte etwas, aber er achtete nicht darauf, ließ ihren Gurt einrasten und zog ihn straff über ihren Oberkörper. Dann kam er zu Tyler und mir, schnallte auch uns an, murmelte »Gott steh uns bei!« und ließ sich auf den nächsten freien Sitz fallen. Er zurrte den Gurt fest und schlug ein fahriges Kreuzzeichen.
    Der Landeanflug dehnte sich qualvoll in die Länge. Ich nahm an, dass es niemanden mehr gab, der den Piloten über Funk einweisen konnte, und dass er sich allein auf seine Instrumente verlassen musste. Mir fielen ein Dutzend Dinge ein, die in einer Situation wie dieser schiefgehen konnten. Gab es da unten noch Lichter, die die Landebahn markierten? Gab es womöglich zu viele ? Und war aus der Luft zu erkennen, ob auf der Piste eine Maschine stand, der es nicht mehr gelungen war, rechtzeitig abzuheben? Vielleicht war auch eine bei einem ähnlichen Manöver abgestürzt und das Trümmerfeld voller Geister. Oder das Militär hatte den Flughafen abgeriegelt und schoss alles vom Himmel, was sich ungebeten näherte.
    Es war nicht hilfreich, dass die meisten Söldner aussahen, als gingen ihnen ganz ähnliche Gedanken durch den Kopf. Der Pilot hatte die Turbinen repariert, so dass sie den Start und die Reise über den Wolken überstanden hatten. Aber mussten die Luftlöcher, die uns jetzt ein ums andere Mal absacken ließen, nicht irgendwelche Auswirkungen auf die angeschlagenen Motoren haben?
    Als wir aufsetzten, klang es, als zerbräche die Maschine in ihre Einzelteile. Metall und Kunststoff kreischten gequält auf, die Turbinen lagen im Todeskampf. Ich war sicher, dass das Gestänge der Fahrwerke unter uns nachgab und der Asphalt im nächsten Augenblick den Rumpf aufreißen würde. Die Fahrzeuge in der Mitte des Laderaums knirschten in ihren Verankerungen und aus den Probandenkammern erklang ein gespenstisches Flüstern.
    Der Bremsvorgang schien kein Ende zu nehmen, so dass genug Zeit blieb, sich alle möglichen Kollisionen auszumalen. Als ich Tyler einen Blick zuwarf, sah ich, dass ihm nichts von dem entging, was sich an Bord der Maschine tat. Vor allem behielt er Emma und mich im Auge, als könnte er irgendetwas tun, um uns zu beschützen, falls diese Landung in einer Katastrophe enden würde.
    Als die Maschine endlich zum Stehen kam, tauchte Haven aus dem Cockpit auf, inspizierte den Laderaum und vergewisserte sich, dass niemand zu Schaden gekommen war. Schließlich kam er wieder zu uns, löste unsere Gurte, ging vor Emma in die Hocke, nahm ihre Hand und fragte: »Wie geht es dir?«
    Ihre Lider flatterten ein wenig, aber die Landung hatte sie endgültig wach gerüttelt. »Gut. Glaube ich.« Sie achtete nicht weiter auf den Colonel, sondern sah zu mir herüber. »Rain?«
    »Ich bin da.« Niemand hielt mich auf, als ich Haven

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