Phantastische Weihnachten: 24 Geschichten zum Weihnachtsfest (German Edition)
Chiller-Hängematte und die Chiller-Bar. Er benutzte dieses Wort nun recht häufig. So ging er zum Strand um zu chillen, ging baden, um zu chillen und mit seinen Buddys abzuchillen.
Wir erkannten ihn nicht wieder und begannen uns sichtlich unwohl zu fühlen. Der Weihnachtsmann blühte regelrecht auf. Die täglichen Fitness- und Pilateskurse ließen seinen sonst so wohlgeformten runden Bauch verschwinden und machten stählernen Muskeln Platz. Nach einigen Monaten sah er aus wie der Anabolikanachtsmann – und das in seinem Alter. Den Bart hatte er sich entfernen lassen; die Frauen würden auf glattrasierte Männer stehen. Wir sahen ihn nun tagein, tagaus mit freiem Oberkörper am Strand knien, wo er irgendwelchen Frauen den Rücken eincremte und ganz lüstern grinste.
Sie können sich sicher vorstellen, dass irgendwann der Geduldsfaden reißt. So war es bei mir. Ich orderte die Rentiere zu mir; sie alle hatten tiefe Ringe unter den Augen, waren ganz dürr, und das kurz geschorene Fell bedeckte kaum den sonnenverbrannten Körper.
Wir streikten. Die Produktion von Geschenken, von Süßigkeiten und das Anliegen all jener Kinder ließen uns völlig kalt. Auch die neuste Erfindung des Weihnachtsmannes, ein kleiner Jet, mit dem er schnell und ohne Probleme jeden erreichen konnte, betrachteten wir unbeeindruckt. Er war anscheinend nicht mehr auf uns angewiesen. Gut, jeder so, wie er will. Wir haben dieses Spiel schon zu lange gespielt, und wissen Sie was? Nach Tagen der reiflichen Überlegung ließen wir den Weihnachtsmann an seinem weißen Sandstrand liegen und machten uns auf dem Heimweg.
Ich denke, Sie können sich vorstellen, was es heißt, heimzukommen. Jedenfalls hoffe ich das für Sie, denn wenn nicht, wird es höchste Zeit.
Einige Tage konnten wir Rentiere in Frieden und in aller Glückseligkeit leben, bis der Weihnachtsmann endlich unsere Abwesenheit bemerkt hatte. Er weinte am Telefon, ich glaube, er war auf Koks oder so, er klang zumindest ziemlich stoned. Wir würden ihm fehlen, er brauche uns doch, aber er fände es am Meer so krass cool und wüsste nicht, was er nun machen solle.
Entscheide dich, sagte ich in den Hörer und legte auf. Solche verheulten Anrufe sollten wir ab diesem Zeitpunkt öfter bekommen.
Die Zeiten haben sich geändert. Ich, Rudi, habe dies erkannt. Der Weihnachtsmann ist jetzt flexibler geworden. Eine Eigenschaft, die er sich angeeignet hat. Seinen Posten in der Dominikanischen Republik hat er allerdings aufgeben müssen. Es fehlte ihm an Mitarbeitern, und die Touristen hatten bald die Nase gestrichen voll von dem selbstverliebten alten Mann, der in den Discos zu den neusten Charts abging und auf der Wasserbanane wie ein Mädchen schrie.
Ich habe gehört, er habe eine Selbstfindungsgruppe besucht. Seitdem setzt er auf Teamarbeit. Ehrlich, ich vermisse die gute alte Zeit. Als wir noch vor den Schlitten gespannt wurden und der Weihnachtsmann dick war und seinen roten Anzug trug. Und jetzt? Jetzt ist er ein Businessmann geworden, hat seine Büros in all den Metropolen der Welt und leitet sein Geschäft von dort, er investiert sogar in diverse Aktien. Das heimelige Gefühl von Weihnachten ist komplett verschwunden. Ich hätte aussteigen sollen, bin aber trotzdem noch dabei. Eine Schande, schließlich trage ich zum Verschwinden des wahren Weihnachten bei. Ich stehe Modell, damit tausende von kleinen Plüschrentieren produziert werden. Kurios.
Warum habe ich Ihnen all das erzählt? Man möchte meinen, auch der Weihnachtsmann brauche ein wenig Privatsphäre. Aber bei solch einem Anliegen, was die ganze Welt betrifft, konnte ich meinen Mund natürlich wieder nicht halten. Ich schäme mich durchaus. Aber nun will ich mich verabschieden, ich habe schon viel zu viel geredet. Von daher: Frohe kommerzielle Weihnachten!
Euer Rudi
8. Dezember
Auf dünnem Eis
Von Elisa Bergmann
Ich liebe den Winter. Die Welt sieht dann, aus als wäre sie mit Zuckerguss überzogen, alles scheint rein und weiß. Die Landschaft verschwindet unter pudrigem, weißem Schnee und Bäche und Seen frieren zu und verwandeln sich in blanke Spiegelflächen.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich es als Kind kaum erwarten konnte, bis das Eis endlich dick genug geworden war und dann nahm ich meine Schlittschuhe und rannte hinaus zum See, um meine Bahnen darauf zu ziehen.
Es passierte in dem Winter, als mir meine Eltern erzählten, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Ich hatte die größeren Kinder in der Schule
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