Phantastische Weihnachten: 24 Geschichten zum Weihnachtsfest (German Edition)
Ich will damit niemandem auf die Füße treten, aber Sie müssen wissen, ich komme viel herum und auch ein Rentier ist durchaus in der Lage, solche analytischen Schlüsse zu ziehen.
Die Modernisierung und Vermarktung von Weihnachten hat schwerwiegende Konsequenzen. Alle werden darunter leiden. Ich habe es schon am eigenen Fell erfahren und am liebsten würde ich aus dem Geschäft aussteigen, aber ich hänge schon zu tief drinnen.
Es geht um ihn. Den Weihnachtsmann. Ich glaube, er steckt in ziemlichen Schwierigkeiten. Er hat gewaltige Identitätsprobleme bekommen und seine – gelinde gesagt – leicht depressive Stimmung steckt uns am Nordpol alle an. Die Hälfte der Einpackcrew hat schon gekündigt, und einige Wunschzettelsammler haben ihrem Leben ein Ende gesetzt. Und wer trägt die Verantwortung dafür? Der Mensch natürlich!
Alles fing damit an, dass der Weihnachtsmann sich selbst auf einem der Werbeplakate von Coca Cola wiederfand. Sie können sich nicht vorstellen, wie er getobt hat! Eine Unverschämtheit wäre das, hatte er gebrüllt. Er habe nie eine Werbekampagne mit dieser Firma gestartet, er würde schließlich die schwarze Plempe bis auf den Tod nicht abhaben können.
Wir stellten natürlich umfangreiche Ermittlungen an. Ein Sonderkomitee machte sich auf den Weg zum Hauptsitz dieser Firma, darunter auch ich. Die Blicke der Angestellten, als wir durch die Drehtür traten, brauche ich Ihnen wohl nicht zu beschreiben. Das Empfangsfräulein bekam sogar einen asthmatischen Anfall, sehr unhöflich, fanden wir, schließlich hatten wir uns alle fein gemacht. Mein Fell war frisch gestriegelt und die Hufe glänzten vom Politurfett. Wie nun das Fräulein keuchend und krächzend auf dem gewienerten Boden der besagten Firma lag und ihre erschrockenen Kollegen nach ihrem Inhalator suchten, machten wir uns auf den Weg zur Chefetage. Hier, so dachten wir, würden wir die Antworten bekommen, nach denen wir so verzweifelt suchten.
Wir auserwählten Rentiere trabten also einen mit rotem Teppich ausgelegten Flur entlang und gingen schnurstracks in das Konferenzzimmer. Die darin Anwesenden begafften uns, als kämen wir vom Mond. Die Menschen sind schon merkwürdig; sie wünschen sich das Außergewöhnliche herbei und wenn es dann vor ihnen steht, bekommen alle einen Herzkasper.
Mit zitternder Stimme erklärte uns der anwesende Leiter, dass sie einen gewissen Werner Weihmann für dieses Projekt engagiert hätten. Wir waren natürlich skeptisch und forderten Beweise, die man uns schließlich auch brachte. Die Geburtsurkunde und andere Schriftstücke überzeugten uns. Man zeigte uns das Kopiergerät, und wir hatten reichlich Freude daran, es zu benutzen, besonders, wenn man sich draufsetzt. Doch das nur am Rande. Mit den kopierten Beweisen machten wir uns auf den Rückweg zum Nordpol, aber nicht, ohne uns vorher beim Empfangsfräulein zu verabschieden und ihr gute Besserung zu wünschen. Sie hechelte noch immer.
Der Weihnachtsmann war mit unserem Ergebnis nicht zufrieden. Das fanden wir sehr sonderbar, immerhin hatten wir bewiesen, dass er es nicht war, der mit Pausbacken und Rauschebart und Colaflasche in der Hand auf den Plakaten abgebildet war, sondern eben jener Werner Weihmann. Das brachte das Fass zum Überlaufen, und mir schlackern noch heute meine empfindlichen Ohren davon. Betrug wäre das, brüllte er, sie hätten ein Abbild von ihm gemacht, ein Double, der jünger sei als er selbst. Er wäre zu alt, deswegen hätten sie ihn nicht gefragt. Überhaupt würde kein Kind mehr nach ihm schreien, die Industrie käme ihm ja immer zuvor.
Wir müssen die verlorene Zeit wieder aufholen! Wir müssen mit der Zeit gehen!
Das war der Schlachtruf des Weihnachtsmannes. Und somit auch der Beginn der Krise. Seiner Krise, wohlgemerkt. Als Erstes wurde das Basislager vom Nordpol verlegt. Der Nordpol sei viel zu sehr entlegen, kein Mensch würde es in Zeiten der Not aufsuchen und der Weihnachtsmann müsse schließlich zentral wohnen, hieß es plötzlich.
So landeten wir in der Dominikanischen Republik. Sonne, Sandstrand, Meer und Schirmchencocktails standen nun an der Tagesordnung. Ich schwitzte beträchtlich und konnte den Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Rasur!, ordnete der Weihnachtsmann an und wir Rentiere trabten brav zu der Schurmaschine. Er hatte uns unseren Stolz genommen.
Der Weihnachtsmann fühlte sich hingegen pudelwohl. Zu seinen Besitztümern zählten nun eine Chiller-Lounge, ein Chiller-Whirlpool, eine
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