Phantastische Weihnachten: 24 Geschichten zum Weihnachtsfest (German Edition)
verhallen nach und nach in der Stille der Nacht. Auf einer Bank lässt er sich nieder; sie ist mit Reif bedeckt. Die wohltuende Kälte ummantelt ihn, hüllt ihn ein mit sanftem Griff. Er kann nachdenken, Revue passieren lassen, seit Langem mal wieder. Vorher hatte er nie Zeit, weswegen auch, war er doch stets immer eingespannt. Es fällt ihm schwer, die Ruhe auszuhalten, obwohl er sie sich so sehr gewünscht hat. Aus einem Haus, links von ihm dringen leise Klänge nach außen; weihnachtliche Musik, andächtig. Er lauscht und die Tränen bahnen sich ihren Weg, laufen über seine Wangen und tropfen auf den Boden. Sie hat ihn eingeholt, die Sinnlichkeit. Und trotz seiner Trauer, seiner Empfindungen und Ängste fühlte er sich noch nie so frei.
21. Dezember
Ellie und die Weihnachtszombies
Von Lily Beier
Für viele Kinder war die Weihnachtszeit die schönste Zeit des Jahres. Nicht nur wegen der Geschenke, den Plätzchen und der Schneeballschlachten, sondern auch, weil alle Menschen während der Weihnachtstage besonders gute Laune zu haben schienen. Freude lauerte in jeder Ecke und kaum ein trauriges Gesicht war zu sehen.
Auch Elisabeth Fern, von ihren Freunden „Ellie“ genannt, konnte sich sehr gut an die vergangenen Weihnachtsfeste erinnern. Um genau zu sein, zeigte ihre allererste Erinnerung die knallroten Glaskugeln, die an dem windschiefen Tannenbaum ihrer Eltern hingen. Stundenlang saß sie auf ihrer weichen, hellblauen Schmusedecke vor dem überladenen Baum, beobachtete fasziniert, wie sich die Kerzenflammen auf den runden Gebilden spiegelten. Im Hintergrund sang ihre Mutter fröhliche Weihnachtslieder, während ihr Vater mit einem Buch in der Hand vor dem Kamin saß und halbherzig darauf achtete, dass seine Tochter keinen Unfug anstellte.
Genau fünf Jahre war es nun her. In ihrer Erinnerung hatte Ellie die Bilder von vier weiteren Weihnachtsfesten gesammelt. Jedes Jahr wurden die Szenen klarer, detailreicher, ohne sich dabei wesentlich zu verändern.
Doch in diesem unglückseligen achten Jahr ihrer Existenz würde es keine weitere glückliche Weihnachtserinnerung geben. Obwohl heute Heiligabend war, würde sie keine Lieder mit ihrer Mutter singen und ihr Vater würde ihnen nicht die Weihnachtsgeschichte vorlesen. Stattdessen saß sie mitten in der Nacht zitternd draußen auf dem gefrorenen Boden der kargen Wiese, die an einen Seitenweg des städtischen Friedhofs grenzte.
Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich zwei frische Gräber, keine zwei Monate alt. Neben dem üblichen Winterwuchs steckten frische Tannenzweige in der gefrorenen Erde, an denen die roten Glaskugeln aus Ellies Erinnerung hingen. Durch Zufall hatte sie den Christbaumschmuck auf Tante Friedas Dachboden gefunden und hielt sie seit über drei Wochen in ihrem Zimmer versteckt.
Weihnachten bei Tante Frieda war schrecklich. Ihre beiden langweiligen Söhne kamen mit ihren beiden ebenso farblosen Frauen zu Besuch, tauschten oberflächliche Höflichkeiten aus und sahen ständig auf die große Uhr über dem Kamin, um so schnell wie möglich zu verschwinden. Ellie konnte es ihnen nicht verübeln. Immerhin hatte sie auch gewartet, bis die alte, taube Frau zu Bett ging, um sich heimlich aus dem Staub zu machen und noch einmal richtig Weihnachten zu feiern.
Ihre Eltern mochten im Himmel leben, aber bestimmt durften sie zumindest Weihnachten mit ihrer Tochter zusammen verbringen. Ellie würde auf sie warten. In der Zwischenzeit sang sie die Lieder ihrer Mutter alleine, bis ihre Kehle heiser wurde, versteckte sich vor den wenigen spätabendlichen Besuchern und las stockend im Schein der flackernden Grablichter eine Weihnachtsgeschichte nach der nächsten, bis die Kirchenuhr in der Ferne Mitternacht schlug. Seitdem hatte die Glocke noch zwei weitere Male geläutet, ohne dass ihre Eltern auftauchten.
‚Und was, wenn sie gar nicht kommen?’ Der Gedanke schlich sich ungebeten in ihren Kopf. Tante Frieda hatte zwar gesagt, dass sie niemals wiederkommen würden, aber Ellie glaubte ihr nicht. Bestimmt, wenn sie es sich ganz fest wünschte, könnte sie die beiden noch ein letztes Mal sehen. Am Heiligabend war nichts unmöglich!
Auf einmal sah sie, wie eine Gestalt am Ende des Pfades auftauchte. Rasch zog sie sich in die Schatten zurück, rieb ihre kalten Finger aneinander und hoffte, unentdeckt zu bleiben. Langsam aber stetig wankte der Fremde auf sie zu. Ellie kniff die Augen zusammen, versuchte, den Störenfried genauer zu erkennen.
Er schien
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