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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Gasdanow
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Senator, der ihn angeblich kurz davor eingeladen hatte, einen Besuch abstatten, mal begab er sich zum Place de la Bourse, um seiner Tante, die in Lyon lebte, ein Telegramm des Inhalts zu schicken, er sei vollkommen gesund, »trotz der über mich verbreiteten Gerüchte«.
    »Wie du dir wahrscheinlich denken kannst«, fuhr er fort, mehr oder weniger zusammenhanglos, »habe ich einen Kollegen getroffen, und der lud mich ein… Odette, bitte, zerr nicht an mir, ich bin vollkommen nüchtern.«
    Odette war seine Ehefrau, eine sehr gelassene und keineswegs dumme Frau. Im nächsten Augenblick hörte ich ihre Stimme, sie hatte ihm offenbar den Hörer weggenommen.
    »Guten Morgen«, sagte sie, »dieser betrunkene Esel ruft Sie einer Arbeit wegen an.«
    »Sag ihm, dass es ein hervorragender Stoff ist.«
    »Es geht darum, dass Ihr Protegé, der krausköpfige Pierrot, jetzt gleich verhaftet wird. Philippe hat im Verhör alles gestanden, was er nur konnte. André« – das war ihr Mann – »ist dermaßen betrunken, dass er zu nichts zu gebrauchen ist. Es ist tatsächlich ein hervorragender Stoff für einen Artikel. Ich weiß, dass Sie Gangstergeschichten und Melodramen nicht mögen. Sagten Sie nicht, das sei schlechte Literatur? Ich hätte Sie nicht behelligt, aber es handelt sich um unseren guten Bekannten. Fahren Sie zu Jean; an Ihrer Stelle würde ich eine Pistole mitnehmen. Ja, für alle Fälle.«
    »Danke, Odette«, sagte ich, »seien Sie versichert, dass ich in Ihrer Schuld stehe. Ich fahre.«
    »Gut«, erwiderte sie, und es knackte im Apparat.
    Jean, zu dem ich fahren sollte, war Polizeiinspektor, ich kannte ihn schon recht lange und hatte ein gutes Verhältnis zu ihm. Er verfügte über ein erstaunliches Verwandlungstalent – oder war vielmehr Opfer einer eigenartigen Persönlichkeitsspaltung. Wenn er in seinem Beruf tätig war und beispielsweise einen »Kunden« verhörte, hatte er den Hut immer in den Nacken geschoben, im Mundwinkel hing eine Zigarette, und er sprach abgehackt, einsilbig und fast ausschließlich Argot. Sobald er sich aber an einen Ermittlungsrichter oder einen Journalisten wandte, verwandelte er sich augenblicklich in einen Mann mit mondänen Ambitionen: »Wenn Sie sich der Mühe unterziehen wollten, einige der Erkenntnisse sozusagen im Vorfeld zu analysieren…« Es war anzunehmen, dass gerade er Philippe, die rechte Hand des krausköpfigen Pierrot, verhört hatte. Allem Anschein nach würde demnächst ein Polizeiauto nach Sèvres hinausfahren, wo Pierrot sich versteckt hielt, und diesmal könnte er wohl kaum entkommen. Ich überlegte kurz, griff dann zum Hörer und rief an. Das Telefon stand, wie ich mich erinnerte, an Pierrots Bett. Sofort fragte eine gereizte Frauenstimme:
    »Was ist los?«
    »Holen Sie Pierrot«, antwortete ich. »Sagen Sie ihm, er wird von der Rue Lafayette verlangt.«
    Das war das vereinbarte Stichwort.
    »Er ist fort, noch nicht zurück. Philippe ist seit vorgestern früh verschwunden, ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
    »Philippe hat alles verraten«, sagte ich. »Suchen Sie Pierrot zu finden, egal wo und unter welchen Umständen, und warnen Sie ihn. Sagen Sie ihm, er soll nicht nach Hause zurückkehren. In einer Stunde ist es zu spät.«
    Danach hängte ich den Hörer ein, holte aus dem Schreibtisch die Pistole, prüfte, ob sie geladen war – sie war geladen –, steckte sie in die Sakkotasche und verließ das Haus. Draußen nahm ich ein Taxi und fuhr zu Jean.
    All das lenkte mich von meiner inneren Unruhe ab, und während ich im Auto saß, dachte ich nun über das Geschick des »krausköpfigen Pierrot« nach, »Pierrot-le-Frisé«, den ich gut kannte und der mir leid tat, obwohl er vom Gesichtspunkt der klassischen Rechtsprechung, sollte man meinen, keinerlei Bedauern verdient hätte, denn er war Einbrecher von Beruf und hatte einige Menschenleben auf dem Gewissen. Ich hatte ihn vor vielleicht sechs Jahren kennengelernt, nachdem er sein erstes Opfer erschossen hatte, den ehemaligen Boxer Albert. Ich war damals zufällig in das Café geraten – es war gegen vier Uhr morgens –, in dem sich sein heimliches Hauptquartier befand, wovon ich nicht die geringste Ahnung hatte. Ich saß an einem Tischchen und schrieb. An der Theke schrien und stritten sich Betrunkene, dann trat plötzlich Totenstille ein, und jemand – damals wusste ich noch nichts von ihm – sagte mit ungewöhnlicher Ausdruckskraft und, nach diesen Stimmen, die an das Gebrüll wütender Tiere

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