Phantom
Pete und ich Ihren Verwaltungsmann ins Gebet nehmen.«
»Ganz meine Meinung. Wenn Sie bis morgen mittag warten, kann ich ihn vielleicht in die geeignete Verfassung bringen.«
Wesley sah mich neugierig an. »Was haben Sie vor?«
»Ihn nervös zu machen.«
Es war früher Abend, und ich arbeitete am Küchentisch, als ich Lucy in die Garage fahren hörte. Ich stand auf und ging zur Haustür. Meine Nichte trug einen marineblauen Aufwärmanzug und einen meiner Anoraks. In der Hand hatte sie eine Sporttasche.
»Ich bin verschwitzt.« Sie entzog sich meiner Umarmung, aber nicht schnell genug: Ihr Haar roch nach Schießpulver. Als ich auf ihre Hände hinunterschaute, sah ich so deutliche Schmauchspuren an der rechten, daß ein Spurenanalytiker in Ekstase geraten wäre.
»He!« Ich hielt sie auf, als sie sich davonmachen wollte. »Wo ist er?«
»Wo ist wer?« fragte sie mit Unschuldsmiene.
»Der Revolver.«
Widerstrebend holte sie meinen Smith & Wesson aus der Tasche.
»Es ist nicht zu fassen! Findest du nicht, daß ich schon genug Ärger habe? Was wäre gewesen, wenn du in eine Routinekontrolle geraten wärst?«
Sie schaute mich mit großen Augen an. Für ein Mädchen mit ihrem Intelligenzgrad war sie manchmal erschreckend realitätsfern.
»Komm mit!« sagte ich. Wortlos folgte sie mir in die Küche, und wir setzten uns an den Tisch. »Du hast gesagt, du würdest in den Fitneßclub fahren.«
Schweigen.
»Und wo bist du tatsächlich gewesen, Fräulein?«
»Beim Schießen. Am Midlothian Turnpike. Der Schießstand ist in der Halle.«
»Ich kenne ihn. Wie oft warst du schon dort?«
»Viermal.«
»Mein Gott!«
»Was sollte ich denn machen? Pete hat mich nicht mehr mitgenommen. Er hat mir eine einzige Unterrichtsstunde gegeben – das ist doch gar nichts!«
»Lucy, du weißt genau, daß Lieutenant Marino im Augenblick zuviel um die Ohren hat, um sich mit dir zu beschäftigen.«
»Ich habe auch Probleme.«
Ich sah sie fragend an.
»Ich fürchte mich«, sagte sie. »Jedesmal, wenn ich dich besuche, muß ich an die Nacht damals denken.«
Ich wußte genau, welche Nacht sie meinte, und sie traf mich mit dieser Eröffnung mitten ins Herz. Ich hatte gedacht, sie habe die Geschichte inzwischen verarbeitet. »Es tut mir leid, daß du dich mit etwas herumquälst, das mir hätte zustoßen können.«
»Etwas? Du bezeichnest das, was passiert ist, als ›etwas‹?«
»Natürlich war es mehr als ›etwas‹.«
»Manchmal wache ich auf, weil ich mir einbilde, einen Schuß gehört zu haben. Dann horche ich in die Stille und erinnere mich, wie ich dalag und in die Dunkelheit starrte. Ich hatte solche Angst, daß ich mich nicht rühren konnte und ins Bett machte. Und dann heulten Polizeisirenen, und rote Lichter blitzten vor dem Fenster. Du hattest verboten, daß ich zusah, wie sie ihn raustrugen. Du hättest es mir erlauben sollen – es wäre leichter für mich gewesen: So habe ich mich mit Phantasien begnügen müssen, und die sind vielleicht viel schlimmer, als es wirklich war.«
»Der Mann ist tot, Lucy. Er kann niemandem mehr etwas tun.«
»Es gibt andere, die genauso gefährlich sind, vielleicht noch gefährlicher.«
»Da kann ich dir leider nicht widersprechen.«
»Wenn du es zuläßt, daß dir etwas zustößt, werde ich dich hassen – das verspreche ich dir!«
»Wenn mir etwas zustößt, wird es mir nichts mehr ausmachen, daß du mich haßt. Aber ich wünsche mir, daß du niemals jemanden hassen wirst, denn das würde dich selbst zerstören.«
»Ich werde dich hassen, das schwöre ich!«
»Versprich mir, daß du mich nie wieder anlügst«, bat ich sie. Schweigen.
»Es gibt doch keinen Grund, mir etwas zu verheimlichen.«
»Hättest du mich zum Schießen gehen lassen?«
»Nicht ohne Lieutenant Marino oder mich.«
»Tante Kay, was wird, wenn Pete ihn nicht erwischt?«
»Lieutenant Marino ist nicht der einzige, der an diesem Fall arbeitet«, erwiderte ich, womit ich ihre Frage nicht beantwortet hatte, weil ich nicht wußte, wie ich sie beantworten sollte.
»Pete tut mir leid.«
»Wieso?«
»Weil er sich nicht von dir helfen lassen darf.«
»Ich glaube, er kommt ganz gut allein zurecht, Schatz. Er ist ein Profi.«
»Aber es geht ihm schlecht.«
»Woher weißt du das?« fragte ich erschrocken.
»Ich habe heute früh mit Michele telefoniert. Pete war gestern abend bei ihrem Vater. Er muß völlig fertig ausgesehen haben. Sein Gesicht war rot wie ein Feuerwehrauto, und er hatte grauenhafte Laune. Mr.
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