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Phantom

Phantom

Titel: Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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stehen: Wie zufällig stand in der Nähe der Kühlkammer eine Rollbahre, auf der eine in ein Laken gehüllte Leiche lag. Ich ging hin und las das Etikett: Jennifer Deighton. Ich sah mich um: niemand im Büro – auch nicht im Röntgenraum. Ich öffnete die Tür zum Autopsieraum: Susan, bereits in Arbeitskleidung, war am Telefon. Als sie mich sah, legte sie den Hörer auf und begrüßte mich mit einem nervösen »Guten Morgen«.
    »Ich habe Ihr Auto draußen gar nicht gesehen«, sagte ich.
    »Ben hat mich abgeholt«, erklärte sie. Ben Stevens, mein Verwaltungsmann, fuhr einen Jeep mit Vierradantrieb. »Mit Ihnen sind wir jetzt zu dritt.«
    »Was ist mit Fielding?«
    »Er rief vor ein paar Minuten an: Er kommt nicht aus seiner Zufahrt raus. Ich sagte ihm, wir hätten bis jetzt nur einen Fall da, wenn es mehr würden, könne Ben ihn holen.«
    »Hat es einen tieferen Sinn, daß besagter Fall draußen auf dem Flur steht?«
    Sie wurde rot. »Ich wollte sie gerade in den Röntgenraum bringen, als das Telefon klingelte. Tut mir leid.«
    »Haben Sie sie schon gewogen und gemessen?«
    »Nein.«
    »Dann machen wir das vorher noch.«
    Sie lief hinaus. Sekretärinnen und Wissenschaftler aus den Labors in den oberen Stockwerken nahmen oft den Weg durch das Leichenschauhaus, weil der Parkplatz gleich dahinter lag, auch Handwerker, die im Haus zu tun hatten. Eine Leiche mitten auf dem Korridor stehenzulassen, war grob fahrlässig und konnte sogar einen Prozeß platzen lassen, wenn es vor Gericht ruchbar wurde.
    Susan schob die Rollbahre herein. Ich nahm Handschuhe und eine Plastikschürze aus dem Regal und klemmte verschiedene Formulare in ein Clipboard. Susan war spürbar angespannt. Als sie die Comp uterwaage justierte, bemerkte ich, daß ihre Hände zitterten. Vielleicht litt sie unter schwangerschaftsbedingtem morgendlichen Unwohlsein.
    »Alles okay?« fragte ich.
    »Nur ein bißchen müde.«
    »Bestimmt?«
    »Ganz bestimmt. Sie wiegt exakt hundertzweiundsechzig Pfund.«
    Ich zog meinen Chirurgenkittel an, und dann rollten Susan und ich die Bahre in den Röntgenraum auf der anderen Seite des Flurs. Wir hoben die Leiche auf den Tisch, ich schlug das Laken zurück und schob einen Holzklotz unter den Nacken, damit der Kopf nicht zur Seite fiel. Die Tote wies keine sichtbaren Verletzungen auf. Sie trug keinen Schmuck und nichts unter dem dünnen, hellblauen Morgenrock. Susan machte Röntgenaufnahmen und brachte die Filme zum Entwicklungsautomaten, während ich die Leiche mit der Lupe in Augenschein nahm. Ich entdeckte eine ganze Anzahl weißlicher Fasern – möglicherweise von ihrem Bettzeug oder dem Laken, in das sie gewickelt gewesen war – und andere, die denen an ihren Socken ähnelten.
    Susan kam aus der Dunkelkammer und lehnte sich an die Wand. Sie war auffallend blaß. »Hatte die Frau Angehörige?« fragte sie.
    »Möglich, aber sie lebte allein.«
    »Arbeitete sie?«
    »Zu Hause.«
    »Und was machte sie?«
    »Sie stellte Horoskope. Ihren Büchern nach zu urteilen, beschäftigte sie sich auch mit übersinnlichen Phänomenen.«
    Etwas erweckte meine Aufmerksamkeit: Die Feder war sehr klein und schmutzig, sie hing in Höhe der Hüfte an Jennifer Deightons Morgenrock. »Gehen wir wieder rüber in den Autopsieraum.«
    Dort angekommen steckte ich die Daune mit einer Pinzette in einen kleinen Plastikbeutel. Wo kam die Feder her? Vielleicht aus einem der Kopfkissen.
    »Haben Sie auch Hinweise darauf gefunden, daß sie etwas mit Okkultismus zu tun hatte?« Susans Stimme klang gepreßt.
    »Wie ich hörte, hielten einige Leute in ihrer Straße sie für eine Hexe.«
    »Weshalb?«
    »In der Nähe ihres Hauses steht eine Kirche. Angeblich ging die Turmbeleuchtung in unregelmäßigen Abständen an und aus, seit sie vor ein paar Monaten in das Viertel gezogen war.«
    »Sie machen Witze!«
    »Ich sah selbst, wie die Beleuchtung anging, als es schon längst dunkel war.«
    »Hört sich ja unheimlich an.«
    »Ja, es war wirklich unheimlich.«
    »Vielleicht ist das Licht mit einer Zeitschaltuhr verbunden.«
    »Die auf unregelmäßige Intervalle eingestellt ist?«
    Susan antwortete nicht.
    »Die Sache läßt sich leicht klären«, sagte ich. »Ich rufe bei der Kirche an.«
    »Fanden Sie irgendwelche seltsamen Dinge in ihrem Haus?«
    »Jede Menge Kristalle.«
    Schweigen. Dann sagte Susan: »Das hätten Sie mir eigentlich gleich sagen sollen.«
    Ich blickte auf. »Was denn?«
    »Daß sie eine Hexe war.«
    »Seien Sie nicht albern,

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