Phantom
Schlaganfall Ihres Mannes etwas zu tun hatte?«
Sie sah Marino erschrocken an. »Darauf bin ich noch ga r nicht gekommen. Aber es könnte stimmen.«
»Warum hätte Miss Deighton ihm das antun sollen?«
»Jimmy mochte sie nicht. Nach ihrem Einzug kam sie ein paarmal rüber, um ihn zu bitten, ihr bei irgendwelchen Dingen zu helfen – Männerarbeiten, wissen Sie. Ich weiß noch, einmal machte ihre Türklingel ein schreckliches Geräusch, und Jennie kam ganz aufgeregt zu uns und sagte, sie fürchte, es könnte einen Kabelbrand geben. Also ging Jimmy mit und brachte die Sache in Ordnung. Ein anders Mal war ihre Ge schirrspülmaschine undicht. Jimmy war handwerklich sehr geschickt.« Sie warf einen kurzen Blick auf ihren schlafenden Ehemann.
»Sie haben uns noch nicht erklärt, weshalb Ihr Mann Miss Deighton nicht mochte«, bohrte Marino.
»Sie war ihm irgendwie unheimlich mit ihren Kristallen und dem ganzen Kram. Und es ging ihm auf die Nerven, daß andauernd das Telefon klingelte, wenn er drüben war. Und als sie ihm erzählte, daß sie Leuten die Zukunft voraussagte und es für ihn gratis machen würde, wenn er ihr weiterhin im Haus helfen würde, hatte er endgültig genug. Er sagte – er hat es mir anschließend wörtlich wiederholt ›Nein danke, Miss Deighton, das ist nicht nötig. Meine Myra ist für meine Zukunft zuständig. Sie plant jede Minute davon.‹«
»Fällt Ihnen jemand ein, der so gegen Miss Deighton eingenommen war, daß er ihr etwas antun wollte?«
Sie riß die Augen auf. »Sie meinen, sie ist umgebracht worden?«
»Wir wissen es noch nicht. Es wäre aber möglich.«
Mrs. Clary verschränkte die Arme unter ihrem schlaffen Busen. »Ich wüßte niemanden, der in Frage käme.«
»Wie war Miss Deightons Gemütsverfassung, als Sie das letzte Mal mit ihr sprachen? Kam sie Ihnen bedrückt vor, oder hatte sie ein Problem, das sie nicht bewältigen konnte?«
»Nein, sie wirkte nicht bedrückt. Und was die Probleme betrifft – so gut kannten wir uns nicht, daß sie mir davon erzählt hätte.« Sie wich meinem Blick aus.
»Hatte sie Angehörige?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wie war das mit dem Telefon?« wollte ich wissen. »Ging sie dran, wenn sie zu Hause war, oder überließ sie das dem Anrufbeantworter?«
»Wenn ich drüben war, und es klingelte, dann ging sie immer dran. Deshalb machte ich mir heute ja auch Sorgen, als sie nicht abnahm.«
Marino sah sie scharf an. »Heute?«
Hektische Flecken erschienen auf ihren Wangen, und ihr Blick irrte ziellos durch den Raum.
»Demnach wußten Sie also, daß sie zu Hause war. Woher?«
»Nein… ich dachte es mir, weil ich sie nicht hatte wegfahren sehen, und…« Mrs. Clary verstummte.
»Vielleicht sind Sie drüben gewesen«, sagte Marino, als wolle er ihrer Erinnerung auf die Sprünge helfen. »Um den Kuchen abzugeben oder einfach nur zu einem kleinen Ratsch…«
Myra verknotete ihre Finger ineinander. Sie hatte sich verplappert, jetzt gab es kein Zurück mehr. »Also gut. Ich stand den ganzen Vormittag in der Küche und machte Zuckerkuchen, und ich sah sie nicht weggehen oder wegfahren. Also ging ich rüber, als ich mit meiner Arbeit fertig war, und klingelte. Sie machte nicht auf, da schaute ich durchs Garagenfenster. Drinnen war alles voller Nebel.«
»Und warum haben Sie da nicht gleich die Polizei benachrichtigt?«
»Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte, und man will sich ja nicht in anderer Leute Angelegenheiten einmischen. Später wurde es mir dann doch unheimlich.« Ihre Stimme begann zu zittern. »Mein Gott! Wenn ich sofort Hilfe geholt hätte, wäre sie vielleicht…«
»Wir wissen nicht, ob sie zu diesem Zeitpunkt noch lebte, ob sie überhaupt noch lebensfähig war.« unterbrach Marino sie.
»Als Sie drüben waren, Mrs. Clary, hörten Sie da den Motor laufen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Dann hätte ich ja etwas unternommen!«
Marino stand auf und steckte seinen Notizblock in die Manteltasche. Er sah niedergeschlagen aus, als habe Mrs. Clarys Mangel an Aufrichtigkeit und Entschlußkraft ihn zutiefst enttäuscht. Inzwischen kannte ich alle Rollen, die er auf Lager hatte.
»Ich weiß, ich hätte gleich anrufen sollen«, sagte Myra zu mir und schaute mich so flehend an, als erwarte sie von mir die Absolution.
Ich schwieg. Marino starrte angestrengt zu Boden.
»Ich fühle mich nicht wohl«, flüsterte sie. »Ich muß mich hinlegen.«
Marino zog eine Visitenkarte aus der Brieftasche und gab sie ihr. »Falls Ihnen noch
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