Phantom
Susan!«
»Sie hätten es mir sagen müssen, bevor ich sie anfaßte.«
»Hören Sie…«
»Ich ging mit einem Mädchen in die Schule, das eine Hexe war!« Susans Augen glänzten wie im Fieber, ihr Gesicht war jetzt hochrot. »Sie hieß Doreen. Sie gehörte einem Hexenzirkel an, und in unserem letzten Schuljahr belegte sie meine Schwester Judy mit einem Fluch. Zwei Wochen vor der Abschlußfeier kam Judy bei einem Autounfall ums Leben.«
Ich starrte Susan verdattert an.
»Sie wissen doch genau, wie dieser okkulte Kram mich schafft!« Sie sah mich vorwurfsvoll an. »Wie diese Rinderzunge mit den Nadeln drin, die die Cops in eine Totenliste gewickelt vor ein paar Monaten herbrachten. Sie hatte auf einem Grab gelegen.«
»Das war doch nur ein übler Scherz«, erinnerte ich sie. »Die Zunge stammte aus einem Supermarkt, und die Namen hatte jemand von Grabsteinen auf dem Friedhof abgeschrieben.«
»Ich will jedenfalls nichts mit satanischen Dingen zu tun haben.« Ihre Stimme zitterte. »Ich nehme das Böse genauso ernst wie Gott.«
Diese Äußerung verblüffte mich: Susan war zwar die Tochter eines Geistlichen, hatte der Religion jedoch schon vor langer Zeit adieu gesagt. Noch nie hatte sie in meiner Gegenwart Gott oder den Teufel erwähnt, außer in der üblichen umgangssprachlichen Weise. Aberglauben oder irrationalen Widerwillen kannte ich bei ihr nicht.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte ich. »Wie es aussieht, muß ich heute mit einer reduzierten Mannschaft auskommen. Ich würde sagen, Sie gehen rauf und machen Telefondienst. Ich komme hier schon allein zurecht.«
Sie brach in Tränen aus. Ich trat zu ihr, legte den Arm um sie und brachte sie zur Tür.
»Ist ja gut«, sagte ich sanft, als sie sich aufschluchzend an mich lehnte. »Soll Ben Sie lieber heimfahren?«
Sie nickte und flüsterte erstickt: »Es tut mir leid. Es tut mir leid.«
»Machen Sie sich keine Gedanken, jeder von uns hat mal einen schlechten Tag.« Ich setzte sie auf einen Bürostuhl und rief Ben Stevens an.
Jennifer Deighton hatte weder Kohlenmonoxyd noch Ruß eingeatmet, denn sie hatte bereits nicht mehr geatmet, als sie in den Wagen gesetzt wurde: Sie war zweifelsfrei ermordet worden. Im Laufe des Nachmittags hinterließ ich mit wachsender Ungeduld immer wieder die Bitte an Marino, mich anzurufen, und mehrfach versuchte ich, Susan zu erreichen, doch es nahm niemand ab.
»Ich mache mir Sorgen«, sagte ich zu Ben Stevens. »Susan geht nicht ans Telefon. Als Sie sie nach Hause fuhren – erwähnte sie da, daß sie irgendwo hinwollte?«
»Sie sagte, sie würde sich ins Bett legen.« Er saß an seinem Schreibtisch. Vor ihm lag ein Stapel Computer-Ausdrucke, daneben stand ein Glas Orangenlimonade. Aus dem Radio im Bücherregal klang leise Rockmusik. Stevens war gescheit und auf eine jungenhafte Art gutaussehend. Er arbeitete hart und lebte sich zum Ausgleich, wie ich gehört hatte, ziemlich intensiv in Single-Bars aus. Ich war ziemlich sicher, daß sein Job als Verwalter sich nur als Zwischenstation auf seinem Weg nach oben erweisen würde.
»Vielleicht hat sie im Schlafzimmer kein Telefon«, meinte e r und schaltete seine Additionsmaschine ein.
»Ja, vielleicht.«
Er machte sich daran, unsere Budgetmisere auf den neuesten Stand zu bringen.
Gegen Abend – es war schon dunkel – rief er mich an: »Susan hat sich gerade gemeldet: Sie kommt morgen nicht. Und ich habe einen John Deighton in der Leitung. Er sagt, er sei Jennifer Deightons Bruder.«
»Stellen Sie ihn durch!«
»Guten Tag. Ich habe erfahren, daß Sie bei meiner Schwester eine Autopsie gemacht haben«, murmelte eine Männerstimme. »Ich bin der Bruder von Jennifer Deighton.«
»Und wie ist Ihr Name, bitte?«
»John Deighton. Ich wohne in Columbia, South Carolina.«
Ich blickte auf, weil die Tür meines Büros geöffnet wurde. Es war Marino. Ich deutete auf einen Stuhl.
»Es heißt, sie habe sich mit Abgasen umgebracht.«
»Woher haben Sie diese Information?« fragte ich irritiert.
»Und könnten Sie bitte etwas lauter sprechen?«
Ein kurzes Zögern. »Ich erinnere mich nicht an den Namen. Ich hätte ihn aufschreiben sollen. Aber ich war zu geschockt.«
Obwohl der Mann kaum zu verstehen war, konnte ich erkennen, daß er sich nicht im mindesten »geschockt« anhörte.
»Es tut mir leid, Mr. Deighton«, sagte ich, »aber wenn Sie Näheres über den Tod Ihrer Schwester erfahren wollen, müssen Sie schriftlich darum ersuchen. Und ich brauche außerdem die
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