Phantom
stieg. »Ich verstehe das nicht«, sagte ich hilflos.
Marino sah mich ungläubig an. »Sie haben die Karten nicht?«
Obwohl ich wußte, daß es sinnlos war, blätterte ich die Unterlagen noch einmal durch. »Sie sind nicht da.«
»Für gewöhnlich nimmt Susan die Fingerabdrücke ab, nicht wahr?« sagte er.
»Ja. Immer. Sie sollte zwei Sätze anfertigen: einen für die Gefängnisverwaltung und einen für uns. Vielleicht hat sie sie Fielding gegeben, und der hat vergessen, sie bei mir abzuliefern.« Ich zog mein Telefonbüchlein heraus und griff zum Apparat.
Fielding war zu Hause, wußte aber nichts über die Fingerabdruckkarten. »Nein, ich habe nichts von ihr bekommen.«
Als nächstes wählte ich Susans Nummer und versuchte, mich zu erinnern, ob ich beobachtet hatte, wie sie die blanken Abdruckkarten aus der Schublade nahm oder Waddells Finger mit dem Stempelkissen färbte. »Haben Sie vielleich t gesehen, wie sie Waddell die Abdrücke abnahm?« wandte ic h mich an Marino.
Er schüttelte den Kopf. »Solange ich da war, hat sie es nicht gemacht.«
»Es geht niemand dran.« Ich legte auf.
»Waddell wurde verbrannt«, sagte Vander.
»So ist es«, bestätigte ich.
Ein kurzes Schweigen folgte. Dann sagte Marino unnötig schroff zu Lucy: »Wenn es dir nichts ausmacht, würden wir uns gerne kurz allein unterhalten.«
»Sie kann sich in mein Büro setzen«, bot Vander an. »Den Gang runter, das letzte auf der rechten Seite.«
Als Lucy gegangen war, sagte Marino: »Waddell war zehn Jahre lang eingesperrt, und selbst wenn er sie gekannt hat, ist es höchst unwahrscheinlich, daß ein Fingerabdruck an einem Gebrauchsmöbelstück so lange erhalten bleibt, ganz abgesehen davon, daß die Eßzimmereinrichtung nagelneu aussah. Außerdem lassen Spuren auf dem Teppichboden vermuten, daß ein Eßzimmerstuhl, kurz bevor Jennifer Deighton starb, in den Wohnraum gebracht wurde.«
»Wie auch immer«, sagte Vander, »im Augenblick können wir nicht beweisen, daß der Mann, der letzte Woche auf den Stuhl geschickt wurde, Ronnie Joe Waddell war. Halt – da fällt mir was ein: Das FBI muß seine Abdrücke doch auch haben! Ich lasse mir Kopien schicken und ziehe die Fotografie von dem Daumenabdruck aus dem Robyn-Naismith-Fall zum Vergleich heran.«
»War der Abdruck auf dem Eßzimmerstuhl der einzige fremde?« fragte ich Neils.
»Natürlich stammten die meisten von Jennifer Deighton«, antwortete er. »Aber an ihrem Wagen waren auch noch einige andere. Vielleicht von jemandem, der Einkäufe in ihrem Kofferraum verstaute oder das Fahrzeug auftankte. Das ist bis jetzt alles.«
»Und wie steht es bei Eddie Heath?«
»Jede Menge verwischte Abdrücke auf der Suppenbüchse und dem Knusperriegel. Bei den Schuhen und Kleidern gelang es mir nicht mal mit dem Luma-Lite, einen brauchbaren Abdruck zu finden.«
Kurze Zeit später führte er uns durch den Anbau, wo in abgeschlossenen Tiefkühlschränken Blut von so vielen Verbrechern aufbewahrt wurde, wie eine durchschnittliche Kleinstadt Bewohner hat, zur Hintertür. Die Proben warteten darauf, in der staatlichen DNS-Datenbank registriert zu werden. Vor dem Ausgang stand im großen Vorraum Jennifer Deightons Wagen. Er sah noch hinfälliger aus, als ich ihn in Erinnerung gehabt hatte – als habe er seit der Ermordung seiner Besitzerin einen rapiden Verfall durchgemacht. Die Zierleisten waren verkratzt und verbeult vom ständigen Dagegenschlagen anderer Autotüren. Hier und da war der Lack abgeplatzt und Rostflecken gewichen. Das Vinyldach hatte sich an zwei Ecken gelöst. Lucy spähte durch eines der schmutzigen Fenster ins Wageninnere.
»He! Nichts anfassen!« schnauzte Marino sie an.
Sie sah ihn nur hochmütig an. Wir verabschiedeten uns von Vander und traten ins Freie.
Als Marino und ich bei mir zu Hause ankamen, war Lucy bereits in meinem Arbeitszimmer verschwunden: Sie hatte nicht auf uns gewartet sondern war mit meinem Mercedes vorausgefahren.
»Sie ist immer noch so nett wie früher«, sagte Marino.
»Sie gewinnen den Freundlichkeitswettbewerb aber heute abend auch nicht«, erwiderte ich sarkastisch, hob den Kaminschirm weg und machte Feuer.
»Sie wird doch hoffentlich den Mund über das halten, was sie bei Vander gehört hat!«
»Sie haben Sie ja ohnehin rausgeschickt, bevor es interessant wurde«, sagte ich. »Nein, im Ernst, Marino, ich vertraue Lucy absolut. Sie bedeutet mir sehr viel, und da mir auch an Ihnen sehr viel liegt, wäre es schön, Sie beide kämen besser
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