Phantom
haben?«
»Ja. Es scheint, als sei dem Jungen das Klebeband an einem Ort angelegt und auch wieder entfernt worden, wo Baumaterialien herumliegen und sich Vögel aufhalten.«
»Vögel?«
»Steht auf der dritten Seite«, sagte er. »Ich habe eine Menge Federstückchen gefunden.«
Lucy hatte sich offenbar gelangweilt: Mein Arbeitszimmer war völlig umgestaltet, der Laser-Drucker, das Modem und die Computerhandbücher hatten ihren Platz gewechselt.
»Warum hast du das getan?« fragte ich und vergaß vor Verblüffung, sie zu begrüßen.
Sie saß mit dem Rücken zu mir und antwortete, ohne mit Tippen aufzuhören: »So ist es zweckmäßiger.«
»Lucy! Du kannst doch nicht einfach ein fremdes Arbeitszimmer umräumen! Was würdest du sagen, wenn ich das bei dir machte?«
»Bei mir bestünde keine Veranlassung dazu. Bei mir ist alles sehr zweckmäßig angeordnet.« Jetzt hörte sie doch auf zu tippen und drehte sich zu mir um. »Schau mal, jetzt kannst du den Drucker bedienen, ohne aufstehen zu müssen. Die Handbücher sind in Reichweite, und das Modem steht dir nicht mehr im Weg rum. Du solltest übrigens keine Kaffeebecher, Bücher oder irgendwas anderes auf einem Modem deponieren.«
»Warst du den ganzen Tag hier?« erkundigte ich mich.
»Wo sollte ich sonst gewesen sein? Du hast ja den Wagen mitgenommen. Ich war ein bißchen joggen. Hast du je versucht, auf gefrorenem Schnee zu laufen?«
Ich zog mir einen Stuhl heran, öffnete meine Tasche und nahm die kleine Tüte heraus, die Marino mir mitgebracht hatte. »Das heißt also, du brauchst ein Auto.«
»Ich fühle mich richtig eingesperrt.«
»Wo möchtest du denn hin?«
»Ins Fitneßcenter. Ich wüßte nicht, wohin sonst. Ich wäre nur gern beweglich – für alle Fälle. Was ist in der Tüte?«
»Ein Gedicht und Bücher, die mir Marino gegeben hat.«
»Seit wann liest der denn?« Sie stand auf und streckte sich.
»Ich mache mir eine Tasse Kräutertee. Willst du auch welchen?«
»Lieber Kaffee.«
»Der ist ungesund«, sagte sie und verließ das Zimmer.
»Zum Teufel!« schimpfte ich, als ich die Bücher aus der Tragetasche nahm und roter fluoreszierender Staub meine Kleidung verschmutzte und an meinen Händen haften blieb. Neils Vander hatte wie gewohnt gründliche Arbeit geleistet, und ich hatte seine Leidenschaft für sein neues Spielzeug vergessen: Vor einigen Monaten hatte er eine neuentwickelte Lichtquelle bekommen und den Laser postwendend ausrangiert. Das Luma-Lite, eine »sensationelle blauverstärkte Dreihundertfünfzig-Watt-Hochleistungs-Halogen-Bogenlampe«, wie er sie jedesmal wieder voller Begeisterung beschrieb, sobald die Sprache auf sie kam, verlieh ursprünglich für das menschliche Auge nicht sichtbaren Haaren und Fasern eine leuchtendorange Färbung. Spermareste und Straßenschmutz leuchteten wie Sonnenflecken, und – das war das beste von allem – sie »fand« Fingerabdrücke, die früher unbemerkt geblieben wären.
Vander hatte Jennifer Deightons Taschenbücher einer ausführlichen Analyse unterzogen. Zunächst wurden sie in einem Glasbehälter den Dämpfen von Super Glue ausgesetzt, dem Zyanocrylat-Ester, der mit menschlichem Schweiß reagiert. Dann wurden die Buchdeckel mit dem roten fluoreszierenden Puder eingestäubt, den ich jetzt überall an mir hatte, und schließlich wurden auch die Buchseiten mit roten Ninhydrin-Puder eingefärbt und dem blauen Licht des Luma-Lite ausgesetzt. Ich hoffte, die Ergebnisse waren all diese Mühe wert. Seufzend ging ich ins Bad, um mich von der roten Plage zu befreien.
»Paris Trout«, ein Roman, hatte die Ermordung eines schwarzen Mädchens zum Thema, und ich konnte mir keinen Grund zusammenreimen, der Jennifer Deighton zum Kauf dieses Buches veranlaßt haben könnte. »Seth Speaks« war ein Bericht, der der Autorin angeblich aus dem Jenseits diktiert worden war. Angesichts Jennifer Deightons Beruf war ihr Interesse für eine derartige Lektüre nicht überraschend. Zum Schluß nahm ich mir das Gedicht vor. Es war ebenfalls mit Ninhydrin-Puder bestäubt und nach der Untersuchung in eine Plastikhülle gesteckt worden.
JENNY
Viel Male hatte Jenny
Den Kupferpenny
Mit Küssen gewärmt,
Der an einer Schnur
Um ihren Hals hing.
Es war Frühling gewesen,
Als er ihn auf dem
Staubigen Weg
Neben der Wiese fand
Und ihr schenkte.
Ohne ein Wort der Leidenschaft
Zeigte er ihr seine Liebe
Durch ein Geschenk.
Jetzt ist die Wiese Braun und voller Unkraut.
Er ist fort
Die Münze ruht kalt
Tief
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