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Phantom

Phantom

Titel: Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Steakmesser, der in der Küche an einem Wandbrett hing, eines fehlte und die Charakteristika der Klingen zu Robyns Verletzungen paßten.
    Wesley öffnete die Eddie-Heath-Akte, zog die Skizze heraus , die der Beamte der Polizei von Henrico gezeichnet hatte, nachdem er den lebensgefährlich verletzten Jungen hinter dem leerstehenden Lebensmittelgeschäft gefunden hatte, und legte sie neben das Naismith-Foto. Schweigend verglichen wir die beiden Bilder. Die Übereinstimmung war noch auffälliger, als ich sie in Erinnerung gehabt hatte, von der Haltung der Körper über die Position der Hände bis hin zu den aufgeschichteten Kleidungsstücken.
    »Das ist wirklich gespenstisch«, sagte Wesley. »Wie Spiegelbilder, nur daß der eine Körper an einem Fernseher lehnt und der andere an einem Müllcontainer.« Er breitete weitere Fotos auf dem Tisch aus und nahm dann eines davon in die Hand: eine Ganzkörperaufnahme von Robyns Leiche auf dem Autopsie-Tisch. An der Innenseite des linken Oberschenkels und an der linken Brust waren deutlich die ausgefransten Ränder der von menschlichen Zähnen herrührenden Bißwunden zu erkennen.
    »Auch hier besteht eine auffällige Ähnlichkeit«, sagte Wesley. »Die Bißwunden bei ihr entsprechen den Verletzungen an der rechten Schulter und am rechten Oberschenkel von Eddie Heath.« Er schaute mich an. »Der Junge wurde wahrscheinlich ebenfalls gebissen, doch entfernte der Täter in diesem Fall die verräterischen Spuren.«
    »Dann muß er zumindest eine Ahnung von gerichtsmedizinischen Beweismöglichkeiten gehabt haben.«
    »Fast jeder Verbrecher, der eine Zeitlang im Gefängnis gesessen hat, weiß etwas darüber – von anderen Häftlingen. Wenn wir davon ausgehen, daß Waddell der Täter ist, dann hatte er seit Robyn Naismith mit Sicherheit etwas dazugelernt.«
    »Aber Sie sagten vorhin, die Morde paßten nicht zu seinem Persönlichkeitsprofil«, erinnerte ich ihn.
    »Vielleicht ist er die berühmte Ausnahme von der Regel.«
    »Sie erwähnten, daß Sie ein Assessment Protocol hier haben…«
    »Ach ja, richtig.« Wesley reichte es mir. »Schauen Sie es sich an. Ich werde vorher nichts dazu sagen.«
    Das Assessment Protocol bestand aus einem vierzig Seiten umfassenden Fragenkatalog des FBI, der im Rahmen eines persönlichen Gesprächs mit Gewaltverbrechern ausgefüllt wurde. Wesleys Gespräch mit Waddell hatte vor sechs Jahren stattgefunden, als dieser im Gefängnis von Mecklenburg County saß. Das Protokoll begann mit einer Schilderung seiner Verfassung. Waddells Verhalten und Sprache verrieten, daß er aufgeregt und verwirrt war. Als Wesley ihm Gelegenheit gab, Fragen zu stellen, hatte er nur eine: »Wir sind gerade an einem Fenster vorbeigekommen, und ich habe kleine weiße Flocken gesehen. Schneit es? Oder war das Asche aus dem Verbrennungsofen?« Das Protokoll war im August erstellt worden!
    Fragen, wie der Mord hätte verhindert werden können, führten zu nichts. Hätte Waddell sein Opfer auch in einer belebten Gegend getötet? In Gegenwart von Zeugen? Hätte ihn irgend etwas davon abhalten können, Robyn Naismith zu töten? Hielt er die Todesstrafe für ein Abschreckungsmittel? Waddell sagte, er könne sich »nicht erinnern, die Fernseh-Lady umgebracht« zu haben. Er wußte nicht, was ihn davon hätte abhalten können, eine Tat zu begehen, an die er sich nicht erinnern könnte. Er erinnerte sich nur noch daran, »klebrig« gewesen zu sein wie beim Aufwachen aus einem feuchten Traum. Doch er war nicht von Sperma klebrig gewesen, sondern von Robyns Blut.
    »Häufige Kopfschmerzen, extreme Schüchternheit, Neigung zu Tagträumen, das Verlassen des Elternhauses mit zwanzig – ich finde hier nichts, was man als Alarmzeichen deuten könnte«, sagte ich. »Keine Grausamkeiten gegenüber Tieren, keine Brandstiftung, keine Gewalttätigkeiten…«
    »Lesen Sie weiter!« forderte Wesley mich auf.
    Ich überflog die nächsten Seiten. »Drogen und Alkohol«, resümierte ich.
    »Wäre er nicht eingesperrt worden, wäre er eines Tages am Rauschgift gestorben oder von einem anderen Junkie ermordet worden«, sagte Wesley. »Interessant ist, daß er erst im Erwachsenenalter damit anfing. Ich erinnere mich, daß er erzählte, er habe keinen Schluck Alkohol getrunken, bevor er zwanzig war und von zu Hause wegging.«
    »Er wuchs auf einer Farm auf, nicht wahr?«
    »In Suffolk. Es ist eine ziemlich große Farm, auf der Erdnüsse, Mais und Sojabohnen angebaut werden. Seine ganze Familie wohnte dort und

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