Pharmakon
sie sich auf Gynäkologie anstatt auf Geburtshilfe konzentrieren konnten. Und dann hatte Larry auf einmal alles fallenlassen. Nachdem er von diesem medizinischen Kongreß zurückgekommen war, hatte er seelenruhig verkündet, er gebe die Praxis auf und nehme eine Position in der Julian-Klinik an. Damals war Laura so verblüfft gewesen, daß sie nicht in der Lage gewesen war zu antworten. Und seit er sich der Julian-Klinik angeschlossen hatte, hatte Larry mehr und mehr Geburtshilfefälle angenommen, obgleich er das gleiche Gehalt bezog, gleich wie hart er arbeitete.
Ein Krachen unterbrach Lauras Gedanken. Das war ein weiteres Problem. Larry war in letzter Zeit so tolpatschig geworden; auch hatte er Konzentrationsausfälle. Laura fragte sich, ob er am Rande eines Zusammenbruches stehen könnte.
Nachdem sie sich entschieden hatte, es sei an der Zeit, ihrem Gatten gegenüberzutreten, strich Laura ihr Kleid glatt und begann, die hintere Treppe herunterzusteigen. Ginger folgte ihr auf den Fersen.
Sie fand Larry an der Arbeitsplatte in der Küche, wie er ein großes Sandwich aß und gleichzeitig in einem medizinischen Magazin las. Er hatte sein Jackett ausgezogen und es über eine Stuhllehne geworfen. Als er sie eintreten hörte, blickte er auf. Sein Gesicht hatte diese merkwürdige Schlaffheit, die es in den letzten Wochen entwickelt hatte.
»Hallo, Liebes«, sagte er mit klangloser Stimme.
Laura blieb am Fuße der Treppe stehen und gestattete ihrem Ärger, sich aufzubauen. Ihr Gatte blickte sie einen Augenblick an und richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf sein Magazin.
»Warum hast du nicht angerufen?« schnappte Laura, rasend wegen seines Versuches, sie zu ignorieren.
Larry hob langsam den Kopf und drehte sich ihr zu. Er sagte nichts.
»Ich habe dich was gefragt«, sagte Laura. »Ich verdiene zumindest eine Antwort. Ich habe dich ein dutzendmal gebeten, mir Bescheid zu sagen, wenn du zu spät kommst.«
Larry bewegte sich nicht.
»Hast du mich gehört?« Laura trat näher auf ihn zu und sah ihrem Gatten in die Augen. Die Pupillen waren groß, und er schien direkt durch sie hindurchzublicken.
»Hallo«, sagte Laura, indem sie die Hand vor seinem Gesicht hin- und herbewegte. »Erinnerst du dich an mich? Ich bin deine Frau.«
Larrys Pupillen zogen sich zusammen, und er zwinkerte, als ob er sie gerade erst bemerkt hätte.
»Tut mir leid, daß ich nicht angerufen habe«, sagte er. »Wir haben uns entschlossen, eine Abendklinik für die Nachbarschaft um die Julian-Klinik zu eröffnen, und die Reaktion darauf war besser, als wir erwartet hatten.«
»Larry, was fehlt dir? Willst du mir sagen, du seist bis nach neun Uhr geblieben, um eine kostenlose Klinik zu versorgen?«
»Mir fehlt nichts. Ich fühle mich gut. Das hat mir Spaß gemacht. Ich habe drei Fälle unvermuteter Geschlechtskrankheiten herausgefunden.«
»Wunderbar«, sagte Laura, hob hilflos die Arme und setzte sich auf einen der Küchenstühle. Sie starrte Larry an und holte tief und erbost Atem. »Wir müssen einmal miteinander reden. Hier geht etwas Merkwürdiges vor. Entweder du wirst verrückt oder ich.«
»Ich fühle mich gut«, sagte Larry.
»Es mag zwar sein, daß du dich gut fühlst, aber du verhältst dich wie eine ganz andere Person. Du scheinst die ganze Zeit müde zu sein, als ob du wochenlang nicht geschlafen hättest. Diese ganze Idee, deine Praxis aufzugeben, war verrückt. Es tut mir leid, aber es ist absolut verrückt, etwas aufzugeben, das aufzubauen man ein ganzes Leben gebraucht hat.«
»Ich bin diese Kassen- und Privatpatienten-Behandlung satt«, sagte Larry. »Die Julian-Klinik ist aufregender, und ich kann dort mehr Menschen helfen.«
»Das ist alles gut und schön«, sagte Laura, »aber das Problem ist, daß du Familie hast. Du hast einen Sohn und eine Tochter auf dem College und eine Tochter, die Medizin studiert. Ich muß dir nicht sagen, wie teuer das alles ist. Und auch dieses lächerliche Haus zu unterhalten, das du vor zehn Jahren unbedingt kaufen mußtest, kostet ein Vermögen. Wir brauchen keine dreißig Zimmer, besonders jetzt nicht, wo die Kinder außer Haus sind. Das Gehalt, das du in der Julian-Klinik bekommst, deckt kaum unseren Bedarf an Lebensmitteln, viel weniger unsere Verpflichtungen.«
»Wir können das Haus verkaufen«, sagte Larry tonlos.
»Ja, wir können das Haus verkaufen«, wiederholte Laura. »Die Kinder gehen aber auf die Universität, und unglücklicherweise haben wir wenig Erspartes.
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