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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Bande für illegal erklärt worden. Wir Kommunisten nutzen daher für unsere Arbeit das Relief Committee, das legal ist. Mit deinen fünfundzwanzig Pfund werden wir vier oder fünf unserer deutschen Genossen, die du auf den Matratzen hast schlafen sehen, nach Frankreich in Sicherheit bringen können.« Ich sah ihn an. »Kann ich dein Schweigen als Bereitschaft werten, diesen Beitrag zu leisten?«
    »H-H-Habe ich eine Wahl?«
    Ich zog meinen Stuhl näher zu ihm, bis sich unsere Knie fast, aber eben doch noch nicht ganz berührten. (Ich wollte ihn nicht in Panik versetzen.) »Du hast immer die Wahl, das ist es, worum es im Leben geht: Entscheidungen. Und keine Entscheidung ist auch eine.« Ich muss gelächelt haben, denn das tue ich für gewöhnlich, wenn ich vorhabe, jemandem einen Vorschlag zu unterbreiten, den er
nicht
annehmen soll: »Du kannst deine hundert Pfund auch behalten, deinen Rucksack packen und mit dem Motorrad zurück nach England fahren, wenn du dich uns nicht anschließen willst.«
    »Ich bin hier in Wien rundum glücklich, danke.«
    Die Genossen, die zu unserem Treffen kamen, waren beeindruckt, als ich ihnen erzählte, der Engländer habe fünfundzwanzig Pfund gespendet. Der Professor aus Budapest, ein Illegaler, der versuchte, der österreichischen Polizei immer einen Schritt voraus zu sein, war es nicht. »Du hast ihm fünfundsiebzig zurückgegeben?«, fragte er mich auf Ungarisch. »Was zum Teufel ist in dich gefahren?«
    Kim sah mich an. »Du sprichst Ungarisch?«
    »Ich
bin
aus Ungarn!«, erklärte ich ihm. »Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen, im ehemaligen Österreichisch-Ungarischen Reich.«
    »Aber ich habe dich doch Deutsch sprechen hören.«
    »Meine Großeltern haben mich aufs Gymnasium nach Wien geschickt. Seitdem bin ich hier. Das hier ist ihre Wohnung.« Dem ungarischen Professor sagte ich: »Der Engländer wird nach Beginn der Revolution von unschätzbaren Wert für uns sein. Mit seinem Motorrad, seinem britischen Pass und seinem blassen englischen Gesicht kommt er durch alle Polizeisperren. Heute haben wir es schon durch zwei geschafft, und die Schläger von Dollfuß’ Heimwehr haben nicht mal in unsere Rucksäcke gesehen.« Für die beiden Genossen des Bereichskomitees übersetzte ich unser Gespräch ins Deutsche. Einer von ihnen fragte mich mit Blick auf Kim: »Wie kannst du sicher sein, dass er kein Doppelagent ist?«
    Kim sprach so gut Deutsch, wie Engländer nun mal fremde Sprachen sprechen, das heißt, Gespräche auf Deutsch waren beschwerlich. »Da k-k-können Sie sich niemals sicher sein«, sagte er und wandte sich auf Englisch an mich: »Wäre es deinen Freunden lieber, w-w-wenn ich in mein Zimmer ginge?«
    Der Professor sagte auf Ungarisch: »Wenn der kleine Graf …«, so nannte er Kanzler Dollfuß, der bekanntermaßen ein Zwerg war, »uns unterwandern wollte, würde er es nicht über ein Bereichskomitee versuchen, sondern direkt im Zentralkomitee der Partei ansetzen.«
    »Du kannst bleiben«, sagte ich zu Kim, und zu den anderen: »Im Moment ist er noch zu unschuldig, um auch nur ein einfacher Agent zu sein.«
    »Ich bin nicht sicher, ob ich das als Kompliment auffassen soll«, bemerkte Kim.
    »Das Schöne an der Unschuld ist«, sagte ich darauf mit einem vielsagenden Grinsen, wie ich mich erinnere, »dass es durchaus angenehm ist, sie zu verlieren.«
    »Unsere Litzi wird anzüglich«, flötete einer der Genossen spöttisch, ein Student mit langen, buschigen Koteletten namens Dietrich. Alle lachten. Bis auf mich. Dietrich war einer meiner Verflossenen.
    Leicht verlegen wandte ich mich an den Professor und sagte, er solle mit seinem Vortrag beginnen. Dieser nahm die Brille ab, massierte sich mit Daumen und Mittelfinger die Nasenwurzel und begann in einem Deutsch, das noch schlechter als Kims war: »Der industrielle Kapitalismus fußt auf der Theorie des Gleichgewichts, die besagt, dass der Prozess der Produktion gerade genug Kaufkraft erzeugt, um die erzeugten Produkte zu kaufen. Die große Depression und die darauffolgende Not der Arbeiterklasse haben jedoch demonstriert, dass diese so praktische Theorie des Gleichgewichts nicht länger …«
    Dietrich sprang auf und unterbrach den Professor mitten im Satz. »Ihre marxistischen Theorien langweilen mich zu Tode«, verkündete er. »Sie sind nicht mehr von Belang. Der Aufstieg des Faschismus verlangt, dass wir uns nicht länger nur um die Ökonomie kümmern. Wir sollten darüber reden, wie wir Hitler davon

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