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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Savile-Row-Gamaschen ganz die alte Schule, und von einem Geheimhaltungswahn erfüllt. Er kommuniziert mit seiner Handvoll Agenten nur durch das, was Geheimdienstler seltsamerweise tote Briefkästen nennen. (Wie um alles in der Welt sollte man einen Brief oder Briefkasten umbringen?) Wenn Vater unpässlich oder aus anderen Gründen indisponiert ist, muss ich mich um die Briefkästen kümmern. Wobei ich wohlgemerkt kein bezahltes Mitglied des SIS bin, doch da wir von unseren Herren und Meistern im Foreign Office ausgehungert werden, kommt es allen sehr gelegen, ein Gehalt weniger zahlen zu müssen. Vater, der wegen des Tempos, mit dem er in der Navy Befehle auszuführen pflegte, Quex genannt wird, treibt seinen Geheimhaltungswahn bis zum Äußersten. Er trägt die Dienstgeschichten seiner Agenten und Mitarbeiter in der Brusttasche mit sich herum, eine Karteikarte pro Person, und er ist dafür bekannt, den von ihm Befragten immer den Rücken zuzukehren, damit sie sein Gesicht nicht sehen. Und nur weil er und der Haddsch (so nennt Vater St John Philby, weil dieser ungepflegte bärtige Arabist zum Islam konvertiert ist) alte Schulfreunde von der Westminster School sind und danach auch zusammen auf dem Trinity waren, hat er zugestimmt, ihm während des Gesprächs ins Gesicht zu sehen. Das Treffen, von dem ich hier rede, fand in einem der in den oberen Etagen vom Caxton House gelegenen Salons statt, in jenem heruntergekommenen Gebäude in Fußnähe der Victoria Station, das nach Nachtarbeit roch und dem SIS als Hauptquartier diente. Dicke Vorhänge verdunkelten die Fenster und hielten jeden noch so kleinen Schimmer Tageslicht fern. Porträts von Wellingtons rosawangigen Generälen, jedes von einer kleinen Messinglampe beleuchtet, lehnten an den Wänden, als wollten sie dem Gespräch folgen. Auf einem Silbertablett standen eine Karaffe mit einem ordentlichen Claret und vier Gläser. Neben dem Haddsch, Vater und mir waren noch zwei weitere Personen anwesend: Vaters Stellvertreter, Colonel Valentine Vivian, den Philby noch aus Indien kannte, aus der Zeit vor dem großen Krieg, und Colonel Stewart Menzies, ein Horse Guard, den die wenigen, die sich nicht davon abschrecken ließen, dass es keinerlei Beweise für diese Vermutung gab, für einen Bastard Edwards VII. hielten. (Der liebe Colonel Menzies fing jedes Mal an zu schnaufen, wenn man seinen Namen nicht schottisch aussprach; korrekt war
Miniz.
) Was Vaters zwei Stellvertreter gemein hatten, war die tiefe Abneigung, die sie füreinander empfanden. Niemand, selbst derjenigen, die regelmäßig im Caxton House waren, hatte die beiden je miteinander reden hören. Sie kommunizierten mittels schriftlicher Mitteilungen, die gleich anschließend in Aschenbechern verbrannt wurden, manche davon auch, so ging das Gerücht, bevor sie gelesen wurden. Vater mochte die Atmosphäre, die dadurch entstand. Hielt die Truppen auf dem Quivive, wie er sagte. Ich war wie gewohnt zugegen, um das Gespräch zu stenografieren. Von mir wurde, und das mit einiger Berechtigung, gesagt, dass ich das institutionelle Gedächtnis des SIS sei. Für mich stand kein Glas auf dem Tisch. Was schon in Ordnung war. Ich trinke nicht nur keinen Alkohol, sondern bin zudem die stellvertretende Vorsitzende des Abstinenzvereins von Camden. Drei Minuten vor der verabredeten Zeit stand St John (ausgesprochen Sin-Jin) Philby in der Tür. Er trug einen zerknitterten weißen Anzug mit Essensflecken auf den Rockaufschlägen und dazu weiße Tennisschuhe. Kaum, dass er sich gesetzt hatte, schnürte er sich die Schuhe auf. »Über Wüstendünen kann ich wochenlang wandern«, murmelte er. »Aber in eurem Asphaltdschungel hier schwellen mir die verdammten Füße schon nach fünf Minuten an.«
    Vielleicht ist an dieser Stelle ein Wort über den Haddsch angebracht: Zu seinem ewigen Verdruss lebte er im Schatten von T. E. Lawrence, unserem Lawrence von Arabien, wie ihn die Boulevardpresse nennt. Dabei hatte er genau wie Lawrence dazu beigetragen, die Osmanen aus Arabien und Palästina zu vertreiben. Lawrence hatte die öffentliche Fantasie jedoch insbesondere dadurch angeregt, dass er Scherif Hussein von Mekka dazu überreden konnte, gegen die Türken zu rebellieren und sie nach Norden über den Sinai und durch Syrien zu treiben. Zum Teil aufgrund von Lawrence’ Aussagen (die er nicht zuletzt völlig ungeniert in Zeitungsinterviews machte) wurde Husseins Sohn Faisal 1920 in Damaskus zum König gekrönt. Lawrence wollte jedoch gleich

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