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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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fuhr fort. »Sie haben in Cambridge studiert, was allein Ihnen schon die Türen öffnet in den Journalismus, in den auswärtigen Dienst, vielleicht sogar in den Geheimdienst Ihrer Majestät. Ich schlage vor, dass Sie sich der bolschewistischen Sache anschließen, das kapitalistische Chaos durch eine proletarische Ordnung zu ersetzen. Wollen Sie uns in unserem Kampf gegen Hitler und den internationalen Faschismus unterstützen?«
    »Sie sollten wissen, dass ich Gewalt verabscheue. Mir wird schon schlecht, wenn ich B-B-Blut sehe.«
    »Wer von uns verabscheut Gewalt nicht?«
    »Sie haben mich nicht verstanden. Ich sage Ihnen ganz offen, dass ich nicht mutig bin. Wenn mir jemand mit Folter drohte, würde ich sofort alles gestehen und Namen nennen. Ich würde vor Angst sterben, wenn man mich verhaftet.«
    »Verhaftet zu werden, kann eine wunderbar befreiende Erfahrung sein. Es befreit Sie von der Angst, verhaftet zu werden.«
    Sonny sah mich eindringlich an. »Sprechen Sie aus eigener Erfahrung?«
    Ich sprach von der wunderbar befreienden Erfahrung meines Vorgängers, aber das konnte ich Sonny nicht sagen. Ignati Reif, Deckname »Marr«, hatte in der ständigen Furcht gelebt, vom NKWD verhaftet zu werden. Seine Hand zitterte, als er mir das Telegramm zeigte, mit dem er zu Konsultationen in die Moskauer Zentrale zurückbeordert wurde. »Zum Teufel damit, geh nicht!«, hatte ich geflüstert. Wir standen in der Toilette eines Pubs und pinkelten in nebeneinanderhängende Urinale. »Ich bin ein treuer Stalinist«, flüsterte er zurück. »Wenn ich nicht fahre, würde das ihre Verdachtsmomente bestätigen, vorausgesetzt, sie haben welche.« Einen Monat nach seiner Rückkehr nach Russland gelang es Ignati, mir durch die Frau eines Decodierangestellten, die zufällig die Nichte der Schwester seiner Frau war, eine Nachricht zukommen zu lassen. »Verhaftet zu werden, ist eine wunderbar befreiende Erfahrung«, hieß es darin. »Sie befreit dich von der Angst, verhaftet zu werden.« Die Nachricht war nicht unterschrieben, aber ich erkannte die Handschrift meines Freundes. Das Telegramm aus der Moskauer Zentrale, das mir meine Beförderung zum Residenten mitteilte, informierte mich auch darüber, dass Ignati Reif die Höchststrafe erhalten hatte und als deutscher Spion erschossen worden war.
    Ignati mit seinem runden polnischen Gesicht, seinem polnischen Akzent und seinen glänzenden russischen Anzügen, die für seinen gedrungenen polnischen Körper immer eine Nummer zu groß gewesen waren, hatte alles Deutsche gehasst, von der Sprache bis hin zu Hitler und seinem tausendjährigen Reich.
    Was ich Sonny auf seine Frage antwortete, war: »Ich spreche von der langen, schmerzlichen Erfahrung des russischen Volkes unter den Zaren.«
    »Es heißt, dass Stalin viele Menschen verhaften lässt.«
    »Glauben Sie nicht alles, was Sie in der kapitalistischen Presse lesen«, belehrte ich ihn. »Genosse Stalin lässt nur schuldige Leute verhaften.« Ich versuchte, das Gespräch in sicherere Gewässer zu steuern. »Hören Sie, Kim. Wenn Sie in Gefahr geraten sollten, würden wir Sie lange, bevor es zu einer Verhaftung kommen könnte, aus dem Spiel nehmen.«
    »Und wohin käme ich dann?«
    »In die Sowjetunion natürlich.«
    »Ich war noch nie in der Sowjetunion.«
    »Sie würden es dort mögen.« Ich lächelte. »Und man würde Sie dort mögen.«
    Ich sah ihn nicken, ungeduldig und begierig, anders kann ich es nicht beschreiben. Er zögerte keine Minute. »Ja«, sagte er.
    Ich war sprachlos. Ich hatte mit weiteren Fragen gerechnet, dem Wunsch nach Erklärungen, die mir streng untersagt waren. »Ja?«, fragte ich etwas ungläubig. »Sie nehmen meinen Vorschlag also an?«
    Er lachte. »Um ehrlich zu sein, ist mir nicht ganz klar, was Sie eigentlich vorschlagen, aber ich bin niemand, der sich immer gleich doppelt absichert. Ich nehme Ihren Vorschlag an.«
    Wir schüttelten uns die Hände und besiegelten damit eine Abmachung, die sein Leben verändern sollte.
    Und meines.

Kapitel 4
    London im Juli 1934:
Der Haddsch gibt zu, noch ein Ass im Ärmel zu haben
    Sie werden meinen Namen nicht kennen. Guter Gott, warum sollten Sie wissen, wer Miss Evelyn Sinclair ist? Ich bin ein Niemand und nur hier, weil ich die Tochter von Jemandem bin, das heißt, von jemand Wichtigem. Mein Vater, Hugh Sinclair, Admiral der Flotte Seiner Majestät (im Ruhestand), ist der Chef des Britischen Auslandsgeheimdienstes SIS. Vater, Gott segne ihn, ist bis zu seinen

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