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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Gaze-Feldverband schützte die Wunde auf seinem Kopf vor dem feinen Sandstaub, der mit jeder neuen Böe vom Pflaster hochgewirbelt wurde. Sein Gesicht wirkte dünner, und seine Augenlider kamen mir schwerer vor als beim letzten Treffen. Er sah aus, als hätte er die Nacht durchzecht und könnte den Urlaub brauchen, der Spionen nie vergönnt ist. Ich nahm mir vor, es meinen Oberen so weiterzugeben: Der Agent, den die Moskauer Zentrale als Sonny kennt, zahlt den Preis dafür, ein Doppelleben zu führen.
    »Einen guten Morgen wünsche ich Ihnen, Alexander«, sagte er, winkte der Kellnerin zu und bestellte amerikanischen Kaffee. »Oder sollte ich G-G-Guten Tag sagen, wo es schon Mittag ist?«
    Ich mochte diese Art Geplänkel nicht. »Wie Sie wollen«, bemerkte ich.
    Der Engländer holte eine kleine Blechdose mit Tabletten aus der Jackentasche. Er bot mir eine an, und als ich ablehnend die Hand hob, wählte er sorgsam eine aus und steckte sie sich in den Mund. »Chronische Verstopfung«, sagte er. »Die Spanier kochen mit zu viel Olivenöl. Im B-B-Baskenland riechen Sie eine Küche kilometerweit. Stellen Sie sich das Chaos vor, das dadurch in einem normalen englischen Verdauungstrakt entsteht.«
    »Lieber nicht«, sagte ich. »Wie geht es Ihrer Kopfwunde?«
    »Die hatte sich entzündet, woraufhin die spanischen Ärzte sie noch mal aufschneiden und säubern, mit Jod beträufeln und wieder zunähen mussten. Das Rote am Verband ist Jod, kein Blut. Gelegentlich bekomme ich Migräne, die ich mit Aspirin und Alkohol behandele.«
    Ein dürres junges Mädchen mit einer fast bodenlangen weißen Schürze stellte ein Glas Kaffee und ein zweites Glas mit Wasser vor Philby hin. Er nahm sich zwei Stücke Zucker und ließ den Blick schweifen, während er gedankenverloren umrührte. Schulkinder in blauen Kitteln gingen, die Hand auf der Schulter des Vordermannes, in einer Zweierreihe über den Platz, angeführt von einem sehr kleinen Priester, der ein hölzernes Kruzifix hoch erhoben vor sich hertrug. Philby betrachtete sie so aufmerksam, dass ich mich fragte, ob sie ihn an etwas aus seiner Kindheit erinnerten.
    Der Anblick des Kruzifixes ließ mich fragen: »Wie behandelt Sie das katholische Spanien?«
    »Wie den Ketzer, der ich bin. Die schreckliche Wahrheit, die mich bei meinen spanischen Freunden nicht unbedingt beliebt macht, ist, dass ich die Mauren vermisse. Ich bedauere, dass sie nach Afrika zurückgetrieben wurden. Ihre Dichter, Architekten und Gelehrten haben das katholische Spanien aufgeklärt.« Er beugte sich vor und senkte die Stimme zu einem rauen Flüstern. »Alexander, Francos Zeitungen sind voll von Berichten über die S-S-Säuberungsprozesse und die Hinrichtungen in Moskau. Sie weiden sich daran, dass die Revolution ihre Kinder frisst, Sinowjew, Kamenew, Rykow, selbst Bucharin, der Mann, den Lenin ›Liebling der P-P-Partei‹ genannt hat. Was geht da vor? Wie erklären Sie sich das? Kann etwas Wahres an der Behauptung sein, dass diese Helden der Revolution sämtlich ausländische Agenten waren?«
    Ich habe über diese Frage, bei der es um Leben und Tod ging, im Lauf der Jahre nicht gerade wenig nachgedacht. Die Säuberung der Partei hatte in den frühen Jahren des Jahrzehnts begonnen und schnell auch das NKWD erreicht. Eine ganze Reihe meiner Kollegen war nach Moskau zurückbeordert worden. Einige wurden für schuldig befunden, ausländische Agenten zu sein, und mussten die Konsequenzen ertragen: eine Kugel, die ihr Leben beendete. Andere sind einfach verschwunden. Was würde ich tun, wenn plötzlich ein Telegramm käme, das
mich
zu
Beratungen
nach Hause riefe? In die Hosen scheißen würde ich mir. Nicht zu gehen, wäre genauso gefährlich, wie dem Befehl zu folgen. Das NKWD hat einen langen Arm; bei mehr als einer Gelegenheit bin ich selbst dieser lange Arm gewesen. Ich nehme an, ich könnte dem Dilemma entgehen, indem ich zum Westen überlaufe, aber das würde meine Familie – meine Frau, meine Tochter, meine Eltern, meine Brüder und Schwestern, Onkeln und Tanten – einer Bestrafung aussetzen. (In den Augen des Generalstaatsanwaltes ist der Verwandte eines Volksfeindes ebenfalls ein Volksfeind.) Sollte es je so weit kommen, müsste ich einen Plan aushecken, um meine Familie zu retten.
    Der Engländer musterte mich und wartete auf eine Antwort. »Vom operativen Standpunkt aus«, erklärte ich ihm, »muss jeder als potenzieller Agent des Auslands betrachtet werden.«
    »Was ist mit mir? D-D-Denken Sie, ich könnte

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