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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Gewichte merklich verschieben könnte.«
    Philbys Gesichtsausdruck erstaunte mich. Er schien ernsthaft erschüttert. Damit war der Augenblick gekommen, den heiklen Spezialauftrag der Moskauer Zentrale anzusprechen. »Es gibt noch eine andere Hoffnung für unsere republikanischen Freunde und ihre kommunistischen Verbündeten …«
    »Ja?«
    Philby fuhr sich mit dem Finger unter den Schal, als sei er ihm unangenehm. Ich hatte gedacht, Seide würde nicht kratzen, aber was wusste ich schon? Ich besaß nur raue Wollschals. »Die Republikaner können noch auf etwas anderes hoffen: Generalissimo Franco.«
    »Wie b-b-bitte?«
    Ich konnte nicht anders und ließ ein kurzes Lachen hören. Der Spezialauftrag, den ich Sonny auf Geheiß Moskaus zu erteilen hatte, war offenkundig lächerlich. Dennoch, mir blieb keine Wahl, als zu tun, was mir befohlen worden war. »Wenn er plötzlich sterben sollte …«
    »Warum sollte Franco plötzlich sterben?« Ich sah, wie sich Philbys schwere Lider ein Stück hoben, als er zu begreifen begann, worauf das hinauslief. Er lehnte sich halb über den Tisch. »Wieso sollte Franco plötzlich sterben?«
    »Jemand könnte ein Attentat auf ihn verüben.«
    »Sie wollen doch sicher nicht andeuten, dass ich dieser Jemand sein könnte?« Er starrte mich ungläubig an. »Doch, das wollen Sie. Oder? Ich bepiss mich. Sie wollen tatsächlich, dass ich Franco ermorde!«
    Seine mangelnde Reife ging mir langsam auf die Nerven. »Ich will gar nichts von Ihnen. Spezialaufträge kommen nicht von den Führungsoffizieren im Feld. Ich bin nichts als der Bote, der den Befehl der Moskauer Zentrale weitergibt. Kommen Sie zu sich, Kim. Ein Spezialauftrag wie dieser kann nur vom Genossen Stalin persönlich kommen.«
    »Verstehe ich das richtig? Joe Stalin will, dass Kim Philby Franco aus dem Weg räumt?«
    »Der Augenblick scheint gekommen, da ich Ihnen erkläre, wie diese Dinge funktionieren«, sagte ich. Und das tat ich. Ausführlich. Die Geschichte beginnt normalerweise damit, dass Genosse Stalin spätnachts mit seinen Politbüro-Kumpanen in seiner Datscha außerhalb von Moskau Filme guckt. Bei der zweiten oder dritten Rolle macht er eine beiläufige Bemerkung, die dann durch die Befehlskette nach unten wandert und stetig an Gewicht und Dringlichkeit gewinnt.
    Nickend, als versähe er meine Sätze mit Punkt und Komma, hörte mir der Engländer zu. »Wie können Sie das so sicher sagen?«, wollte er wissen. »Haben Sie den Genossen Stalin schon einmal gesehen? Kennen Sie ihn persönlich?«
    »Ich habe während unseres Bürgerkriegs für ihn gearbeitet, in der Stadt, die wir heute Stalingrad nennen. Er war ein
tough biscuit,
wie die Amerikaner sagen.«
    »Ich glaube, es heißt
tough cookie.
«
    »Keks. Plätzchen. Er ist hart wie ein verkrüppelter Baum in der arktischen Steppe. In Stalingrad haben einige von uns aus einem besonderen Anlass, weiter ins Detail will ich da nicht gehen, zusammengeworfen und ihm eine schöne Neun-Millimeter-Beretta gekauft. Genosse Stalin war äußerst stolz auf seine italienische Pistole und zeigte allen die barbusige Göttin auf ihrem Lauf. Er trug sie unter dem Gürtel seiner Uniformjacke. Einmal habe ich gehört, wie er sagte, er habe sie nachts neben seinem Bett liegen.«
    »Das Einzige, womit ich bewaffnet bin«, sagte Philby, »sind Humor und Angst. Ich besitze keine Pistole und wüsste auch nicht damit umzugehen.«
    »Sie zielen und drücken den Abzug.«
    »Sollte ich je mit einer Waffe auf einen Menschen zielen, selbst auf so einen abgrundtief bösen Menschen wie Franco, würde ich die Augen schließen, um das Blut nicht zu sehen. Und mit geschlossenen Augen treffe ich keine Scheunenwand, geschweige denn die Brust eines Mannes.« Er zuckte auf typisch englische Weise mit den Schultern, so träge und gemächlich, als wollte er Kraft sparen. »Als Kind habe ich einmal gesehen, wie mein Vater aus einem Schnitt in der Hand blutete. Wir erkundeten gerade den Suk von Damaskus. Wissen Sie, was ich daraufhin tat? Gesp-sp-spuckt habe ich, direkt auf die feine Dschellaba am Stand eines Schneiders. Die einzige Möglichkeit für meinen heiligen Vater, den Mann zu beruhigen, bestand darin, das Ding zu kaufen. Jahrelang noch hat er mich damit aufgezogen, dass ich seine guten syrischen Piaster für ein Kleidungsstück verschwendet hätte, das viel zu groß für mich war. Ich nehme an, meine chronische Verstopfung, vielleicht sogar mein Stottern, hat damals in Damaskus angefangen. Ich habe die

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