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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Zigaretten rauchten. Dass eine Frau aus dem Raum kam, überraschte sie.
    »Bringt sie weg«, murmelte einer von ihnen. »Eine Frau hat hier nichts verloren.«
    Ein anderer Genosse, klein und mit rasiertem Schädel, sagte kichernd: »Es sei denn, sie ist diejenige, die mit der Höchststrafe bedacht wurde.« Die übrigen Genossen wandten den Blick voll Unbehagen ab.
    Oberleutnant Gussakow bedeute mir mit einer abrupten Bewegung des Kopfes, ihm Richtung Aufzug zu folgen. »Konnte Mali die Unstimmigkeiten im Bericht Ihres Vorgängers aufklären?«, fragte er, als ich ihn einholte. Er blieb stehen. »Der Engländer, auf welcher Seite steht er?«
    »Alles, was ich bisher erfahren habe, deutet darauf hin, dass er ein britischer Agent ist«, antwortete ich. »Der verurteilte Gefangene Mali hat nichts gesagt, was mich vom Gegenteil überzeugt hätte.«

Kapitel 1
    Wien im Spätsommer 1933:
Ein Engländer gerät ins falsche Jahrhundert
    Der Engländer kam von einem anderen Planeten und suchte zweifellos nach einem Abenteuer, nach etwas, an das er glauben konnte, nach Kameradschaft, Zuneigung, Liebe und Sex. Zu seinem Glück fand er eine, die ihr Haar schon so oft gefärbt hatte, dass sie selbst nicht mehr sicher war, welche Farbe es ursprünglich gehabt hatte: mich. Wir waren etwa im gleichen Alter. Er war einundzwanzig und kam frisch von der Universität, als er meine Wohnung im Stadtzentrum betrat, aber darin erschöpften sich unsere Gemeinsamkeiten auch schon. Ich war zur einen Hälfte jüdisch und zur anderen nicht, und diese beiden Seiten meiner Identität standen in ständigem Konflikt miteinander. Ich war eine Zionistin gewesen, die für eine ferne jüdische Heimat gekämpft hatte, bevor ich mich den Kommunisten anschloss, um die österreichischen Arbeiter, die mir viel näher waren, in ihrem Kampf zu unterstützen. Ich war verheiratet gewesen und hatte mich scheiden lassen (als ich feststellte, dass mein Mann lieber in Palästina schlief als mit mir). Einmal landete ich für zwei Wochen in einem österreichischen Gefängnis, als die Polizei auf meine kommunistischen Aktivitäten aufmerksam geworden war. Ich hatte mein Gästezimmer einem gewissen Josip Broz überlassen, einem kroatischen Kommunisten, der, wie sich herausstellte, in einem halben Dutzend Balkanstaaten gesucht wurde. (Er hielt Parteitreffen in meiner Wohnung ab, bei denen er auf den einen oder anderen der Genossen deutete und mit den Worten
»Ti, to – du, das«
Aufgaben verteilte. Er machte das so regelmäßig, dass wir ihn »Tito« nannten.) Mein Kurzaufenthalt im Gefängnis hatte auch sein Gutes. Dort lernte ich, dass sich eine Frau, wenn sie gerade keinen Spiegel zur Hand hat, auch in einer Tasse Kaffee gut genug sehen kann, um sich die Lippen nachzuziehen. (Ohne Lippenstift fühle ich mich schutzlos.) Glücklicherweise war meine geheime Arbeit für die Moskauer Zentrale trotz meiner Verhaftung unentdeckt geblieben. Man könnte sagen, dass ich das Gegenteil einer Heiligen war. Ich hatte mir Liebhaber genommen, wie es mir gefiel, dabei aber sorgsam darauf geachtet, emotionale Distanz zu wahren, weshalb aus ihnen ausnahmslos bald schon ehemalige Liebhaber geworden waren. Die Wahrheit ist, dass ich vor dem Engländer mit keinem Vertreter der männlichen Spezies wirklich
intim
gewesen war. Intim im Sinne von Lust empfangen, indem man Lust bereitet. Intim im Sinne von: Es fühlt sich gut an, den Tag damit zu beginnen, morgens neben einem splitternackten
Homo erectus
aufzuwachen.
    Ah, der Engländer … Sie werden nicht glauben, wie unschuldig er war, als er da vor meiner Tür stand: von scheuer Schönheit, quälend unsicher, unter chronischen Verdauungsproblemen leidend (wie ich später erfuhr) und mit einem reizenden Stottern gesegnet, das in Gesellschaft oder in intimen Situationen schlimmer wurde. Ich sah gleich – Frauen werden mit einem sechsten Sinn für Körpersprache geboren –, dass er noch nie mit jemandem geschlafen hatte, jedenfalls nicht mit einer Frau. Ob mit einem Mann, war eine ganz andere Frage. Einmal spätnachts, als im Arbeiterviertel auf der anderen Seite der Stadt Granaten einschlugen, kippte der Engländer einen Schnaps zu viel und gestand mir, dass er einmal
ge
-
b-b-b-buggered
worden sei, wie er es nannte. Ich habe nie herausgefunden, ob diese Initiation in einem der feinen englischen Internate stattgefunden hatte, die erst dann ihre Kamine anzünden, wenn das Wasser in den Hähnen zu gefrieren beginnt, oder später in Cambridge.

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