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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)
Autoren: Robert Littell
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alte Eiche gelehnt, den Kragen des bis oben zugeknöpften Mantels hochgeschlagen, einen Schal um den Hals. Sein Hut lag auf seinen Knien, und er hielt das Gesicht in die arktische Sonne.
    »Das tun sie«, sagte ich, setzte mich neben ihn und lehnte mich ebenfalls an den Baum. Ich beugte mich zu ihm und entzündete meine Zigarette an der, die zwischen seinen Lippen hing. Einen Augenblick lang waren sich unsere Gesichter ganz nah. Ich roch den Alkohol in seinem Atem. »Wir haben einen Park, der nach dem verstorbenen Maxim Gorki benannt ist«, sagte ich. »Dort gibt es auch einen Teich, auf dem die Moskauer Schlittschuh fahren, wenn er zugefroren ist. Nachts halten sie Fackeln. Die Polizei zündet in den Mülleimern rund um den Teich Feuer an, damit sich die Schlittschuhfahrer die Hände wärmen können, und alte Babuschkas verkaufen Glühwein aus Thermosflaschen. Würde Ihnen gefallen.«
    »Der Glühwein?«
    »Die Szenerie.«
    »Ich hoffe, das nie zu Gesicht zu bekommen«, sagte Sonny. »Denn das würde bedeuten, dass ich enttarnt und geflohen wäre.«
    »Wenn wir alle vorsichtig sind, wird es nie so weit kommen«, sagte ich.
    Sonny nahm einen Schluck aus einem Flachmann, rieb mit der Hand über den Flaschenhals und hielt mir das kleine silberne Ding hin. Ich roch daran, bevor ich seine Hand zurückschob. »Riecht wie richtiger Whisky«, bemerkte ich.
    »Ist auch welcher«, bestätigte er. »Guter amerikanischer Whiskey. K-Kontrolliert. Zehn Jahre in Holzfässern gereift, behaupten sie auf dem Etikett.«
    »Woher bekommen Sie den? Wir haben in der Botschaft nur russischen Wodka.«
    »Staatsgeheimnis«, sagte er mit einem freudlosen Lachen.
    »Sie sollten vorsichtig sein, was Ihren Alkoholkonsum angeht«, sagte ich.
    »Schon das letzte Mal, als Sie mir das gesagt haben, habe ich Ihnen erklärt, dass ich meine Ration brauche. Beruhigt die Nerven. Alle im Caxton House haben eine F-F-Flasche im untersten Fach ihres Schreibtischs gebunkert. Niemand riecht, wenn jemand eine Fahne hat, weil alle eine haben. Auffallen würde es, wenn ich
nicht
tränke.«
    »Schwarzmarkt-Whisky ist teuer. Sie müssen in finanziellen Schwierigkeiten stecken, wenn Sie den Großteil Ihres Gehalts versaufen.«
    »Mein heiliger Vater, der seinen Wohnsitz für die Dauer des Krieges zurück nach England verlegt hat, auch wenn der Regen seiner Gicht nicht guttut, steckt mir hin und wieder einen Hunderter zu.«
    »Wie wäre es, wenn Sie auf Wodka umsteigen? Der ist billiger, und man riecht nicht danach.«
    »Sie zeigen ja tatsächlich persönliches Interesse an Ihren Agenten. Könnten Sie mir vielleicht eine Diät vorschlagen, durch die ich den ›Rettungsring‹ verliere, der meinen Bauch umkränzt?« Sonny sah mich mit einem verlegenen Grinsen an. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich weiß, Ihre Sorge zu schätzen, ganz zu schweigen von Ihrer Professionalität. Sagen Sie mir, Anatoli, ist Gorski Ihr richtiger Name? Guy Burgess meint, es sei ein Pseudonym.«
    »Staatsgeheimnis«, sagte ich. »Aber ich werde Sie einweihen: Gorski ist der Familienname meines Großvaters, nicht meiner oder der meines Vaters. Unter den Zaren wurde der zweite Sohn immer zur Armee eingezogen, und so gaben Familien mit zwei Söhnen den zweiten an eine andere Familie ohne Söhne, deren Namen er annahm. So ist Großvater Gorski unter Zar Alexander III. dem Militärdienst entgangen.«
    Die Kufe eines Schlittschuhläufers brach durch das dünne Eis und sein Fuß versank bis über den Knöchel im Wasser, was die anderen Eisläufer mit Gelächter quittierten. Im kahlen Geäst über uns krächzten Dohlen, als wollten sie den Eingebrochenen verhöhnen. Ich musterte Sonny, als er noch einen Schluck Whisky nahm. Er sah gut aus mit seinen neunundzwanzig Jahren, war schlank, was immer er über seinen »Rettungsring« sagen mochte, und selbst im Winter sonnengebräunt. Direkt über der Sonnenbrille war seine fahle Kriegsnarbe zu sehen. »Was lesen Sie gerade?«, fragte ich und nickte hinüber zu dem Buch auf seinem Schoß.
    »Turgenjews
Ein Adelsnest
in der Garnett-Übersetzung.«
    »Ich kenne sein
Otzy i deti.
Sie sprechen kein Russisch, oder? Sie sollten es lernen. Es ist eine sehr reiche Sprache.
Otzy i deti
heißt
Väter und Söhne.
In diesem Roman hat Turgenjew den Begriff des Nihilismus geprägt, wobei ich nicht verstehen kann, wie jemand, der an nichts glaubt, es schafft, sich beim Rasieren im Spiegel anzusehen. Da verstehe ich selbst die Faschisten noch besser, die glauben
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