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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)
Autoren: Robert Littell
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sagte der junge Mann und ging kopfschüttelnd davon. Ich konnte sehen, wie er sich zu einem brennenden Streichholz hinunterbeugte, das ihm ein am Ufer stehender Schlittschuhläufer hinhielt.
    »Warum haben Sie das gemacht?«, fragte Sonny.
    »Er arbeitet für mich«, sagte ich. »Er hielt nicht zwei, sondern nur einen Schlittschuh in der Hand, um mir zu sagen, dass er am Teich niemand Verdächtigen gesehen hat. Er hat mir zu verstehen gegeben, dass die Luft rein ist.«
    »T-T-Teufel auch!«, sagte Sonny. »Sie sind wirklich ein echter Spion, Anatoli!«
    »Was dachten Sie denn, was das hier ist? Ein Spiel?«
    »Ein Spiel? Ja, vermutlich hab ich das gedacht.«

Kapitel 14
    Moskau im Juli 1941:
Jelena Modinskaja, ehemals Leutnant, jetzt Oberleutnant, besucht die »Nahe Datscha«
    Also, ich bin’s, Jelena Modinskaja, die Analytikerin, die den Londoner Residenten Teodor Stepanowitsch Mali noch Minuten vor seiner Hinrichtung verhört hat. Das war 1938, und ich kann mich gut daran erinnern. Es kommt mir vor, als wäre es erst gestern gewesen. Mir war der Fall des Engländers, Aktennummer 5581, zugewiesen worden, und ich hatte seitdem unter Aufsicht meines Sektionchefs in der Abteilung fünf der Hauptverwaltung, Oberleutnant (heute Hauptmann) Gussakow, daran gearbeitet. Letztes Jahr bin ich selbst zum Oberleutnant befördert worden, sodass ich heute die ranghöchste Frau der zweiten Hauptverwaltung bin. Meine Großmutter mütterlicherseits, die erste weibliche Kommissarin der glorreichen Roten Armee zu Zeiten der Revolution, wäre stolz auf mich gewesen, hätte sie das noch erlebt.
    Wenn es das Wetter erlaubt, gehe ich zu Fuß zur Arbeit. Ich wohne zusammen mit meinem Vater in einer Kommunalka nicht weit vom Metro-Bahnhof Majakowskaja mit seinen bemerkenswerten Mosaiken unter der Decke. Um in mein Büro in der Lubjanka zu kommen, muss ich praktisch nur die Gorki-Straße hinunter. Wenn es stark geschneit hat oder besonders kalt ist, sagen wir minus zehn Grad oder kälter, nehme ich die Metro. Ganz selten einmal leiste ich mir zusammen mit ein paar Freundinnen ein Taxi zum GUM-Kaufhaus oder zum Moskauer Staatszirkus am Zwetnoi-Boulevard (der von den widerlichen Deutschen gleich am ersten Tag des Krieges bombardiert wurde, auf den Tag genau vor einem Monat, trotzdem haben die Genossen vom Zirkus nicht eine Vorstellung abgesagt). Aber heute Abend saß ich zum ersten Mal in einer Zil-Limousine; die beiden Mitglieder des Sicherheitskommandos der Lubjanka auf den Vordersitzen waren nur das Sahnehäubchen, wie man so schön sagt. Ich saß hinten zwischen Hauptmann Gussakow und seinem direkten Vorgesetzten, dem Direktor der fünften Abteilung der zweiten Hauptverwaltung, Oberst P. Sudoplatow. Ich weiß, es ist kaum zu glauben, aber abgesehen davon, dass wir wussten, wir fuhren die Magistrale Richtung Westen hinunter, hatte keiner von uns eine Ahnung, wohin es ging, bis wir die Sicherheitsleute die »Nahe Datscha« erwähnen hörten. »In der ›Nahen Datscha‹ in Kunzewo verbringt der Genosse Stalin seine Wochenenden«, flüsterte mir Hauptmann Gussakow ins Ohr. »Was immer Sie tun«, erklärte mir Oberst Sudoplatow, »werden Sie nicht nervös, wenn Sie dem Genossen Stalin gegenüberstehen. Nervöse Menschen machen auch ihn nervös, weil er fürchtet, sie könnten einen Grund für ihre Nervosität haben. Wahrscheinlich ist auch der Chef unseres NKWD da, Genosse Beria, zusammen mit einigen Mitgliedern des Politbüros. Ignorieren Sie alle bis auf den Genossen Stalin. Sehen Sie ihm in die Augen, sprechen Sie ihn direkt an und bringen Sie Ihre Sache genau so vor, wie Sie es bei uns in der Lubjanka tun.«
    Etwa zehn, zwölf Minuten hinter dem letzten der neuen aus den Feldern rund um Moskau emporwachsenden, aus Ziegeln erbauten Wohnblöcke bog der Zil in eine nicht gekennzeichnete Straße, die gleich darauf in einem dichten Kiefernwald verschwand. Hinter der ersten Biegung stand ein Wachhaus mit Grenzern des NKWD. Sie trugen automatische Waffen, und der Fahrer kurbelte sein Fenster herunter und wechselte ein paar Worte mit dem Offizier, der etwas auf einem Klemmbrett nachsah und uns durchwinkte. Wir fuhren an einem doppelten Maschendrahtzaun entlang, und ich glaubte, das Kläffen von Hunden zu hören, die zwischen den beiden Zäunen patrouillierten. Es folgten zwei kreisrunde Lichtungen im Wald, die beide mit einer Batterie Luftabwehrgeschützen bestückt waren. Die Soldaten hatten die Hemden ausgezogen und lagen auf den Sandsäcken
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