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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)
Autoren: Robert Littell
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Angleton. Ziemlich unsympathischer Kerl, aber, um fair zu sein, nicht von gestern. Lernt schnell. Würde mich nicht überraschen, wenn er den Laden in zwanzig Jahren leitet. Wir haben uns angefreundet und uns angewöhnt, zusammen aufs Dach zu steigen, um die deutschen B-B-Bomber zu beobachten, wenn sie ihre Angriffe auf die Stadt fliegen. Das ist eine unglaubliche Show. Die Lichtkegel unserer riesigen Suchscheinwerfer durchschneiden den Nachthimmel, und hier und da stöbern sie eine deutsche Motte unter einer Wolke auf. Dann geht die Flak los. Kleine Explosionen, von denen jede einzelne so intensiv lodert wie ein aufflammender Streichholzkopf, steigen den Strahl hinauf, bis eine den Rumpf erreicht. Ein Flügel knickt weg, und die Motte kippt unbeholfen trudelnd zur Seite und verschwindet aus dem Licht der Scheinwerfer. Ich mag die Hunnen nicht, aber trotzdem kann ich nicht anders, als mir die verzweifelten Männer vorzustellen, die sich zu den Luken vorkämpfen, um aus dem Rumpf zu entkommen. Wie tote Vögel fallen sie vom Himmel.«
    »Ihr Mitgefühl ist hier fehl am Platz.«
    »Stimmt. Merkwürdigerweise hat Angleton genau das Gleiche gesagt. Er und ich haben über den Krieg geredet. Ich habe gesagt, er wird zehn Jahre dauern. Er meinte, das sei unmöglich. Der Krieg werde vierundvierzig, spätestens fünfundvierzig zu Ende gehen. Ich habe ihn gefragt, wie er darauf komme. Als er darauf nicht antwortete, war mir klar, dass er es nicht sagen würde, außer, er dächte, ich wüsste es bereits. Also habe ich einfach so ins Blaue hinein geraten und ihn gefragt, ob er von der neuen atomaren Waffe rede.«
    »Was hat er geantwortet?«
    »Angleton hat mich scharf angesehen. ›Woher wissen Sie davon?‹, hat er gefragt. Ich sagte ihm, bei uns sei allgemein bekannt, dass unsere Wissenschaftler nach Amerika geschickt worden seien, um beim Bau der Atombombe zu helfen.«
    »Und?«, fragte ich.
    Sonny zuckte mit den Schultern. »Angleton schien überrascht, dass ich davon wusste. Er sagte, die Deutschen arbeiteten auch an einer. Er sagte etwas über einen Wettlauf, Uran 235 als Zünder einer Kettenreaktion einzusetzen. Er sagte, die Amerikaner seien nahe dran und würden es als Erste schaffen. Ihre Leute machten bereits Ziele aus. Der Krieg sei vorüber, sobald die erste Bombe falle, und Joe Stalin werde es sich zweimal überlegen, ob er sich nach dem europäischen Krieg wirklich Italien und Frankreich einverleiben wolle.«
    »Er hat tatsächlich gesagt, die Bombe würde Stalin dazu bringen, es sich zweimal zu überlegen?« Und einen Moment später murmelte ich: »Das sollte die Zweifler überzeugen …«
    »Welche Zweifler?«
    Ich hätte die Bemerkung für mich behalten sollen. Als ich nicht antwortete, wiederholte Sonny seine Frage: »Von welchen Zweiflern reden wir?«
    »Einige wenige Genossen in Moskau meinen, dass Sie zu gut sind, um wahr zu sein, Kim. Sie machen sich Sorgen, ob Sie tatsächlich ein aufrichtiger Kommunist und treuer Agent der Zentrale sind. Sind Sie das, Kim? Moskau, Stalin und dem Kommunismus treu ergeben?«
    »Das ist das Letzte, was ich von Ihnen zu hören erwartet hätte, Anatoli. Nach all den Risiken, die ich eingegangen bin. Nach all den Informationen, die ich an Otto und jetzt an Sie weitergegeben habe.«
    »Was hat Sie zu einem Kommunisten gemacht?«
    »Ich habe Marx gelesen, und jede Marx-Lektüre macht einen zum Sozialisten. Aber der Sozialismus ist nur eine halbe Sache. Erst der Kommunismus ist das Wahre. Er hat mich für den Kampf gegen die Ungleichheit gerüstet, die mich immer angewidert hat.«
    »Entschuldigen Sie mein Nachhaken. Ich zweifle nicht an Ihrer Loyalität. Andere hingegen …«
    Sonny war eindeutig verärgert. »Ich muss niemandem etwas beweisen«, verkündete er und lachte. »Nur meinem heiligen Vater natürlich.«
    Ich lachte mit. »St John Philby. Natürlich.«
    Ein junger Mann in einem zerschlissenen gelben Dufflecoat trat zu uns. Er hielt einen Schlittschuh in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand. »Haben Sie Feuer?«
    »Was ist mit dem anderen Schlittschuh?«, fragte Sonny.
    »Hab nur einen«, sagte der junge Mann und sah zwischen uns hin und her. Sonny und ich, wir rauchten beide. »Haben Sie nun ein Streichholz für mich?«
    »Hatte nur eins«, sagte ich.
    »Wie bitte? Wollen die Herren damit etwa sagen, dass Sie einem Mann kein Feuer geben wollen?«
    »Genau so ist es«, sagte ich.
    »Nun, um es vorsichtig auszudrücken: Ich scheiß auf euch, alle beide«,
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