Philosophenportal
Möglichkeit, die Regierenden
auf friedlichem Wege wieder loszuwerden. Alle Diktaturen zeichnen sich dadurch aus, dass die Machthaber an ihrem Sessel kleben
und nur dem Druck der Gewalt weichen. Institutionell abgesicherte Kritikmöglichkeit und ein legales Verfahren zur Absetzung
der Regierung: Das ist es, was die Demokratie vor einer Diktatur auszeichnet.
Eine Gesellschaft hat niemals eine endgültige Form, die man ihr wie ein Korsett verpassen könnte. Das Konzept der offenen
Gesellschaft trägt dem Rechnung: Es macht Reform und ständige Veränderung zum Normalzustand. An die Stelle eines groß angelegten
utopischen Gesellschaftsentwurfs setzt Popper die gezielte Reform einzelner Missstände. Sein hierfür geprägter Begriff »piecemealengineering«
hat durch die deutsche Übersetzung »Stückwerk-Reform« einen sehr missverständlichen Klang erhalten. Gemeint ist eine »schrittweise«
vorgehende Reform, die auf der genauen Analyse von Sachproblemen beruht. Genau wie die wissenschaftliche Forschung ist sie
niemals abgeschlossen und erhebt auch keinen Anspruch auf Endgültigkeit.
Diese Haltung, »auf kritische Argumente zu hören und aus der Erfahrung zu lernen«, die Popper sowohl für die Wissenschaft
als auch für das politische Handeln fordert, nannte er »Kritischen Rationalismus«. Das war auch der Name der von ihm begründeten
philosophischen Richtung, der sich in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Schüler in Europa und den Vereinigten
Staaten anschlossen.
Popper schloss 1942 den ersten und im Februar 1943 den zweiten Band ab. Er war höchst interessiert daran, dass das Buch noch
vor Ende des Krieges erschien, damit es als politische Werteorientierung |223| eine Rolle beim Aufbau einer demokratischen Nachkriegsordnung spielen konnte. Entsprechend begann er sofort mit der Verlagssuche,
die er aus der Ferne organisieren musste. Denn nur ein Verleger in England oder in den USA kam in Frage. Wiederum kamen viele
Kosten auf ihn zu. Das Manuskript musste vervielfältigt werden, zahlreiche Briefe und Telegramme gingen in die USA und nach
Europa ab. Popper schrieb zunächst an Freunde in den Vereinigten Staaten, die er noch aus alten Wiener Zeiten kannte und denen
er eine Vollmacht erteilte, das Manuskript an bestimmte Verlage weiterzugeben. Er war ungeduldig, unzufrieden mit den Bemühungen
seiner Freunde und schließlich verzweifelt über den ausbleibenden Erfolg.
Als das Buch schließlich 1945 in London erschien, war der Krieg schon ein paar Monate zu Ende, aber seine epochale Bedeutung
wurde im englischsprachigen Raum sofort erkannt. Weniger in den Universitäten als vielmehr in der Öffentlichkeit wurde Popper
mit seiner Theorie der offenen Gesellschaft zur philosophischen Stimme des Westens. Mit dem Zusammenbruch der kommunistischen
Staatenwelt in Mittel- und Osteuropa erlebte seine Kritik am Totalitarismus noch zu Lebzeiten ihres Autors eine eindrucksvolle
Bestätigung. Spätestens von diesem Zeitpunkt an erlangte Poppers politische Philosophie auch in Kontinentaleuropa die ihr
zustehende Anerkennung. Wie nur wenige Werke zuvor hat
Die offene Gesellschaft und ihre Feinde
demonstriert, dass im Kampf der Freiheit gegen die Unfreiheit auch die Philosophie eine laute und durchdringende Stimme haben
kann.
Ausgabe:
KARL R. POPPER: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, 2 Bände. Band 1: Der Zauber Platons. Band 2: Falsche Propheten. Übersetzt von P. Feyerabend. Herausgegeben und korrigierte Übersetzung von H. Kiesewetter. Tübingen: Mohr/Siebeck 2003.
|224| Sozialpakt für Fair Play
JOHN RAWLS: Eine Theorie der Gerechtigkeit (1971)
In der modernen Mediengesellschaft geht es Büchern so wie Menschen: Sie müssen auf sich aufmerksam machen, in möglichst grellem
Kostüm auf die Bühne treten und dem erstaunten Zuschauer glaubhaft machen, ihm sei etwas umwerfend und revolutionär Neues
erschienen, an dem er schlechterdings nicht vorbeigehen könne, ohne sich selbst völlig ins Abseits zu stellen. Die Marktschreier,
die sich mit der Werbung eine eigene Industrie geschaffen haben, müssen jedes Buch bei seinem Eintritt in die Welt begleiten,
wenn es eine Chance beim Publikum haben soll. Ist der Verfasser dann auch noch mediengewandt und telegen, kann er in Talk-Shows,
Podiumsdiskussionen und bei kulturellen Happenings präsentiert werden, so scheint der Erfolg seines Werks garantiert. Philosophische
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