Philosophenportal
eine Abrechnung mit Hegel und Marx und der Tradition des Historizismus. Alle drei Denker
gelten Popper als Vorläufer des Totalitarismus. Doch das Buch ist mehr als eine Auseinandersetzung mit der Philosophiegeschichte:
Es entwickelt auch eine Theorie der modernen liberalen Demokratie als Alternative zur geschlossenen Gesellschaft der totalitären
Diktaturen.
Ein Buch, das ihn während des Schreibens immer wieder inspirierte, war
Die Geschichte des Peloponnesischen Krieges
des griechischen Historikers Thukydides. Popper sah die Welt zur Zeit des Zweiten Weltkrieges in einer ähnlichen Lage wie
Griechenland zu der Zeit, als das »totalitäre« Sparta gegen das »demokratische« Athen kämpfte. Repräsentanten für diesen Kampf
waren für ihn zwei Männer, beides herausragende Vertreter der Athener Oberschicht: der Staatsmann Perikles und der Philosoph
Platon.
Perikles steht für die offene, demokratische Gesellschaft, Platon für den geschlossenen Ständestaat. Als Motto stellte Popper
seinem Buch Zitate dieser beiden Protagonisten voraus. Das Perikles-Zitat betont die Mündigkeit des Bürgers: »Obgleich nur
wenige eine politische Konzeption entwerfen und durchführen können, so sind wir doch alle fähig, sie zu beurteilen.« Das Platon-Zitat
dagegen beginnt mit dem totalitären Führerprinzip: »Das erste Prinzip von allen ist dieses: Niemand, weder Mann noch Weib,
soll jemals ohne Führer sein.« Die Absicht der
Offenen Gesellschaft
ist es, die ideologische Tradition Platons und seiner Nachfolger zu entlarven und die Prinzipien einer offenen Gesellschaft
in der Tradition des Perikles offen zu legen und zu verteidigen.
Dabei spürte er den Feinden der Freiheit, den »orakelnden Philosophen« |217| , nicht nur bis Platon, sondern bis in die frühgriechische Philosophie nach. Bereits bei dem Vorsokratiker Heraklit sieht
er ein Muster, das sich auch bei späteren Feinden der offenen Gesellschaft wiederholen sollte: In einer Zeit des sozialen
Umbruchs suchen die Gegner der Veränderungen nach festen Orientierungen, nach einer Erklärung oder einem Gesetz, mit dessen
Hilfe sie den geschichtlichen Wandel deuten können. Sie stellen den ungeliebten Veränderungen das Konzept einer unveränderlichen,
stabilen Ordnung entgegen. Eine Gesellschaft der unablässigen Reform lehnen sie ab. Sie bevorzugen den großen, endgültigen
Wurf, der alle politischen Grundprobleme mit einem Schlag löst.
Platon war der Erste, der mit seinem Hauptwerk
Der Staat
einen solchen großen Wurf vorlegte. Für viele Leser kommt das Bild Platons als eines Urfeinds der offenen Gesellschaft überraschend.
War Platon nicht der herausragende Schüler des Sokrates, dem es auch in seinem Staatsentwurf um Vernunft und Gerechtigkeit
ging? War er nicht der Stammvater der gesamten europäischen Philosophie? Für viele etablierte akademische Philosophen bedeutete
Poppers radikale Platonkritik eine Heiligenschändung.
Die Bedeutung Platons für die Philosophiegeschichte hat Popper aber nie bestritten. Im Gegenteil: Im ersten Band der
Offenen Gesellschaft
bezeichnet er ihn als den »größten Philosophen aller Zeiten«. Der Titel »Der Zauber Platons« drückt die zwiespältige Haltung,
die Popper gegenüber Platon einnahm, sehr gut aus. Platon ist für ihn ein faszinierender Denker, ein Künstlerphilosoph und
Visionär, der seine Leser in den Bann ziehen kann. Gleichzeitig ist er aber auch ein gefährlicher totalitärer Verführer.
Dass Platon im Geist des Sokrates dachte und schrieb, hat Popper jedoch immer bestritten. Die Beziehung zwischen Platon und
Sokrates stellte sich ihm ganz anders dar: Sokrates blieb für ihn ein aufrechter Vertreter der Freiheit, jemand, der – wie
es in Platons
Apologie
berichtet wird –, die eigene Würde und Gewissensentscheidung gegenüber staatlichen Autoritäten behauptete. Sokrates war kein Demokrat, aber
er blieb für Popper jemand, der das »Prinzip Kritik« zum Antrieb seines Lebens und seines Philosophierens gemacht |218| hatte. Platon hingegen, Spross der alten Athener Aristokratie, hatte nach Popper von Anfang an die Rechtfertigung der traditionellen
Standesherrschaft im Sinn. Seine Interessen deckten sich immer mit denen der alten athenischen Aristokratie.
Unter den Dreißig Tyrannen, die nach der Niederlage Athens in Kollaboration mit Sparta in Athen regierten, waren enge Verwandte
Platons. Der Sturz der Aristokratenherrschaft und die von den Demokraten
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