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Philosophenpunsch

Philosophenpunsch

Titel: Philosophenpunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Bauer
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sich. »Von mir aus können wir über alles diskutieren.«
    »Nun, mit Weihnachten im weiteren Sinn sollte es schon zu tun haben«, brachte sich Gernot Stolz, ein kleiner, etwas eitel wirkender Mittfünfziger, in die Debatte ein. »Mir ist eingefallen, wie viele elektronische Dinge mitsamt ihren Scheinwelten auf dem Gabentisch landen werden. Ist das nicht ein Zeichen dafür, wie sehr die Menschen dazu neigen, in eine andere Wirklichkeit zu entfliehen? Und je raffinierter und ausgeklügelter die angebotene Virtualität wird, desto schwerer fällt es, sie von der tatsächlichen Realität zu unterscheiden. Ein durchaus diskutierenswürdiger Aspekt, würde ich meinen. Die Industrie liefert uns alles, was zur Weltflucht notwendig ist. Immer mehr von uns nehmen dieses Offerte dankend an mit dem Ergebnis, dass sie das virtuell Erfahrene für wirklicher halten als die Wirklichkeit selbst.«
    »Ich habe nichts dagegen, wenn wir uns dieser Problematik widmen.« Caha zeigte sich zufrieden.
    »Ihr wollt euch also auf dieses derart weit gestreute Thema einlassen?«, wandte Klein ein. Er war zweifelsohne der Kopf der Runde. Mit am Hinterkopf zu einem kleinen Schwanz zusammengeflochtenem schwarzem Haar, das schon von grauen Strähnen durchzogen war, einem knallbunten Pullover und einer ausgewaschenen Jeans thronte er lässig auf der Eckbank. »Die Vielfalt dessen, was wir unter Realität verstehen und die Frage nach dem eigentlich Seienden? Ich habe Angst, dass wir dabei ein wenig den Faden verlieren könnten, aber bitte. Ich darf dabei zu Anfang allen Platons Höhlengleichnis in Erinnerung rufen. Es handelt von den Menschen, die in einer Höhle sitzen, auf von einem Feuer an die Wand geworfene Schatten glotzen und fest davon überzeugt sind, dass sie das pralle Leben vor sich haben. Als ihnen jemand sagen möchte, wie die Dinge wirklich sind, weil er draußen die Sonne gesehen hat, wollen sie gar nicht darauf hören. Plato ging es bekanntlich darum, ob das, was gemeinhin als Wirklichkeit betrachtet wird, nicht nur der Schatten von etwas Größerem ist.«
    »Durch Computer, Fernsehen, Internet und die ganzen elektronischen Spiele, dieses ständig zunehmende Angebot an Virtualität, kommt heute zweifelsohne noch eine Ebene dazu«, folgerte Stolz voll Stolz. »Das vom von der eigentlichen Realität Entfernten Entfernte.«
    Kurzes Schweigen und Nachdenken. »Ich muss hier entschieden widersprechen«, nahm dann wieder Caha das Wort an sich. »Virtualität und Scheinwelten hat es schon immer gegeben. Denkt doch an Drogen, Halluzinogene, ekstatische Zustände und vieles mehr, das seit ewigen Zeiten in den Köpfen der Menschen scheinbare, als Wirklichkeit empfundene Realitäten herbeiführt.«
    »Wenn man etwas in seinem Inneren erlebt, dann ist es wirklich und wahr, egal, unter welchen Umständen.« Die Stimme, die das sagte, klang ein wenig rau und hatte einen singenden Tonfall. Sie gehörte Bianca Roth, der bislang einzigen Frau am Tisch. Mit ihrer hochgeschlossenen Bluse, dem weiten Rock und dem auffällig geschminkten Gesicht spielte sie ein wenig die Grande Dame. Sie benutzte beim Rauchen einen eleganten Zigarettenspitz. Ohne dass man es mit Sicherheit sagen konnte, war sie wahrscheinlich älter als die anderen. Ihr Blick war klar, schien aber immer ein wenig in die Ferne gerichtet. »Alles andere ist Unsinn. Ich weiß, wovon ich spreche. So kann ich mit Sicherheit behaupten, dass es sich beispielsweise bei einer Erscheinung keineswegs zwangsläufig um eine Halluzination handelt.«
    »Bianca! Wie oft soll ich es dir noch sagen: Wir versuchen hier, zu philosophischen Ansätzen zu kommen, und vielleicht schaffen wir es auch einmal, ohne deine – ich drücke mich jetzt vorsichtig aus – Erlebnisse der anderen Art anhören zu müssen«, schnitt ihr Bernhard Klein das Wort ab. Sein Kopf war leicht gerötet, einen Augenblick kämpfte er darum, nicht die Beherrschung zu verlieren. Bianca blies ihren Zigarettenrauch zu ihm hinüber, aber er hatte sich schon wieder gefasst und bemühte sich, das Gespräch sachlich fortzuführen.
    Mittlerweile betrat Thomas Korber das Kaffeehaus, zusammen mit der neuen Mitbenützerin seiner Wohnung, Julia Leichtfried. »Schönen guten Abend, ihr beiden«, zwinkerte Leopold ihnen verschmitzt zu. »Ihr unternehmt ja schon richtig was zusammen.«
    »Halt dein loses Mundwerk, Leopold, und bring mir sofort ein großes Bier«, entgegnete Korber und konnte sich dabei ein Lächeln nicht verkneifen. »Julia

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