Philosophenpunsch
viel Schnee«, berichtete Agnes Windbichler. »Die Loipen sind bereits gespurt. Nun, wir liegen ja auch nördlicher und viel höher als Wien.«
»Ja, Tante Agnes, was machst du denn da?«, unterbrach Leopold verdutzt. Dabei fiel ihm ein, dass er den schönen Blumenstrauß noch am Bahnhof entsorgt hatte.
»Ah, Leopold«, begrüßte Agnes ihn. »Ich nehme gerade ein zweites Frühstück zu mir und unterhalte mich prächtig, wie du siehst.«
»Wie bist du hergekommen? Warum bist du am Franz-Josefs-Bahnhof nicht aus dem Zug gestiegen?«
»Du wolltest mich also abholen? Das ist aber nett von dir. Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich bezüglich dessen etwas in meinem Brief an dich erwähnt habe«, erklärte Agnes Windbichler. »Jedenfalls habe ich einen wirklich netten Nachbarn, den Herrn Tauber, der kennt sich ganz toll mit dem Internet aus. Der war so lieb und hat sich meine Zugsverbindung genau angeschaut. Er hat mir geraten, einen Halt früher bei der Station Spittelau auszusteigen und mit der U6 von dort direkt nach Floridsdorf zu fahren. Das habe ich dann auch gemacht, und es ging wahnsinnig schnell. Kinder, ihr mit eurer U-Bahn. Tolle Sache! Da können wir in Weitra nicht mithalten.«
»Aber mit dem Schnee«, meinte Frau Heller anerkennend. »Ach, wie gern wäre ich jetzt bei euch da draußen.«
»Liebe Tante, warum hast du mich nicht verständigt?«, wunderte sich Leopold. »Ein Anruf hätte genügt, um sämtliche Probleme aus der Welt zu schaffen.«
Agnes Windbichler schüttelte nur den Kopf: »Du weißt doch, ich telefoniere nicht gern. Das regt mich mit meinen bald 80 Jahren zu sehr auf. Was hat dich eigentlich aufgehalten? Es geht doch so schnell mit der U-Bahn.«
»Ich bin mit dem Auto gefahren«, lächelte Leopold verkrampft. »Das tun wir Stadtleute auch manchmal. Und dann habe ich mich natürlich erkundigt, ob etwas Unvorhergesehenes passiert ist. Lebenszeichen hast du ja keins von dir gegeben, Tantchen. So, und jetzt bringe ich dich schnell zu mir nach Hause, damit ich dann meinen Dienst antreten kann.«
»Du hast heute noch Dienst?«, fragte Tante Agnes überrascht.
»Ja, du wirst dich leider zunächst ein wenig allein beschäftigen müssen«, stellte Leopold mit einer gewissen Genugtuung fest.
»Am Abend können Sie Ihren Neffen dann hier im Kaffeehaus besuchen«, zwinkerte Frau Heller der Tante zu.
»Und jetzt komm! Wo ist dein Koffer?«, blies Leopold zum Aufbruch.
»Einen Augenblick noch«, hielt Frau Heller die beiden zurück. »Beinah hätt ich’s vergessen. Frau Haupt und Frau Sedlak warten hinten auf Sie, Leopold.« Sie nahm ihn zur Seite. »Sie haben eine wichtige Aussage zu dem gestrigen Mordfall zu machen, trauen sich aber nicht, zur Polizei zu gehen. Sie haben gefragt, ob sie nicht zuerst mit Ihnen darüber reden können. Gott sei Dank sind Sie ja jetzt da. Sie haben doch sicher bereits mit Ihren Ermittlungen begonnen, Leopold?«
Leopold blickte in die Tiefe des Raumes. Zwei weißgelockte Damen lächelten ihn an. Frau Sedlak und Frau Haupt waren keine Stammgäste, kamen aber doch hin und wieder auf einen Kaffee vorbei. Sie wohnten, wenn er sich richtig erinnerte, in dem großen Gemeindebau am Ende der Freytaggasse Richtung Alte Donau. Was mochten sie zu berichten haben? Leopolds Neugier war sofort entfacht. »Wart noch einen Augenblick, Tantchen«, sagte er und ging strammen Schrittes zu den hinteren Tischen.
»Was für ein Glück, dass Sie da sind«, begrüßte ihn Frau Haupt. »Wir wüssten gar nicht, was wir ohne Sie machen sollen.«
»Wir haben gestern etwas gesehen und glauben, es hängt mit dem Mord an der jungen Frau zusammen«, wisperte Frau Sedlak. »Aber wir haben lange nachgedacht, wem wir uns anvertrauen sollen. Auf der Polizei herrscht ja so ein rauer Ton.«
»Ich musste nämlich einmal bei einem Verkehrsunfall aussagen«, unterbrach sie Frau Haupt. »Man hat mir alle Worte im Mund verdreht. Wer sei wann wo wie schnell unterwegs gewesen und ob ich mir sicher sei, dass das eine Auto nicht geblinkt habe. Ich habe am Schluss nichts mehr gewusst. Als es darauf ankam, hatte ich den gesamten Unfallhergang vergessen.«
»Drum sind Sie unsere Hoffnung, Herr Leopold«, erklärte Frau Sedlak. »Sie haben doch einen Freund bei der Mordkommission. Wir erzählen Ihnen jetzt unsere Geschichte, und Sie leiten sie dann einfach an ihn weiter. Das würde uns eine Menge Unannehmlichkeiten ersparen, und wir hätten unsere Bürgerpflicht geleistet.«
»So einfach geht das leider
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