Philosophenpunsch
egal geworden, verstehst du? Du interessierst mich schon lange nicht mehr. Und jetzt geh bitte, und lass mich in Ruhe, sonst rufe ich die Krankenschwester. Ich bin müde. Ich möchte schlafen.«
»Du brauchst mich nicht so anzuschnauzen, ich bin schon dabei, mich zu entfernen«, kam es von Bianca gefasst, aber stockend. Ihre innere Aufgewühltheit kratzte an ihrer Oberfläche. Wortlos stand sie auf und verließ das Zimmer. Draußen auf dem Gang setzte sie sich auf eine Bank und wartete. Ihre Augen fokussierten dabei das künstliche Licht, das von der Decke herabfiel. Es wirkte kalt und unpersönlich, kalt wie das ganze überheizte Spital.
Bianca blickte in ein Journal, das irgendjemand liegen gelassen hatte, und begann zu lesen. Nach einer Weile kam die diensthabende Schwester vorbei. Bianca lächelte sie breit an, die Schwester lächelte zurück. Es war ein Zeichen gegenseitigen Verstehens. Bianca deutete: Ob sie wohl noch einmal, trotz der späten Stunde, kurz in das Krankenzimmer könne? Natürlich, nickte die Schwester, immer noch lächelnd. Es sei heute nicht so streng.
Also ging Bianca Roth zurück in Bernhard Kleins Zimmer und setzte sich wieder neben sein Bett. Klein schlief tief und fest, so wie unschuldige Kinder schlafen. Bianca streichelte kurz über sein Haar. Dann nahm sie eine Zigarette heraus und begann seelenruhig zu rauchen. Mit sichtlicher Genugtuung blies sie große, graue Ringe in die Luft.
Als die Rauchmelder losschlugen, stand sie auf und drückte die Zigarette auf Bernhard Kleins Nachthemd aus, genau dort, wo sich seine rechte Brustwarze befand.
11
Leopold öffnete die Tür zum Kaffeehaus, und sofort stieg ihm der angenehme Duft von Weihnachtsbäckerei in die Nase. Es roch nach allen möglichen Köstlichkeiten: nach Vanillekipferln, Kokosbusserln, Anisplätzchen, Linzer Augen und noch nach vielem mehr. Offenbar hatten Frau Heller und seine Tante Agnes ganze Arbeit geleistet. Jetzt saßen sie, beide ein Heferl Punsch vor sich, am Haustisch und plauderten miteinander. Nach einem ersten Austausch von Förmlichkeiten – wie sich welche Rezeptur wohl am förderlichsten verfeinern ließe und welche Kniffe und Tipps jede der Damen kannte – hatte sich ein immer vertraulicheres Gespräch entwickelt. »Da sind Sie ja, Leopold«, unterbrach Frau Heller, sichtlich gut aufgelegt und genüsslich an ihrer Zigarette ziehend, das Tratscherl. »Sie kommen zur rechten Zeit. Wir sind gerade fertig geworden.«
»Zur rechten Zeit!«, war Tante Agnes außer sich. »Dass ich nicht lache! Abgeschoben hast du mich, wie einen Asylanten.«
»Sie sind ja einem Phantom hinterhergejagt, wie ich höre«, versuchte Frau Heller, die Situation zu beruhigen.
»Na ja, es war schon ein Mensch aus Fleisch und Blut«, äußerte Leopold vorsichtig. »Siehe die blauen Flecken bei der Tante. Obwohl die Polizei ein Phantombild von ihm angefertigt hat.«
»War es der Mörder?«, wollte Frau Heller mit durchdringendem Blick von ihm wissen.
»Es sieht gewissermaßen so aus!«
»Dann ist es ja gut«, lächelte Frau Heller verschmitzt. »Setzen Sie sich doch zu uns. Sie brauchen jetzt nicht mehr an Ihre nervtötende Kriminalistik zu denken. Machen Sie doch Ihr Kopferl endlich frei für Weihnachten. Aber das können Sie ja nicht, nicht wahr?« Sie befand sich mit dieser Frage in einem gewissen Gefühl der Überlegenheit. »Oder fällt Ihnen hier herinnen vielleicht etwas auf?«
Leopold schaute kurz mit prüfendem Blick durch das gesamte Kaffeehaus. Nur der Bereich um die Theke sowie das erste Billardbrett waren beleuchtet. Trotzdem hätte er jede Veränderung natürlich sofort bemerkt. Aber es gab nichts. Alles war so wie immer, und Leopold hätte es sich verbeten, dass es vielleicht irgendwie anders gewesen wäre.
»Nein, Frau Chefin«, sagte er und zuckte mit den Achseln.
»Er sieht es nicht!« Frau Heller, die an dieser Situation Gefallen fand, zwinkerte Agnes Windbichler verschwörerisch zu.
»Leopold, du bist ein seltener Tepp. Siehst du es denn wirklich nicht?«, griff sich die alte Dame an den Kopf.
Was sollte er sehen? Blind hätte er mit einem Tablett durchs Lokal laufen können und wäre nirgendwo angestoßen, so sehr befanden sich die Dinge an ihrem vertrauten Platz. Allerdings kannte Leopold seine Chefin. Sie hatte höchstwahrscheinlich eine Laune, in der sie ihn vor seiner Tante bloßstellen wollte. Also suchte er, was auch immer zu finden man für ihn vorbereitet hatte.
Jetzt bemerkte er es. Eine
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