Philosophenpunsch
in dem kleinen, überheizten Spitalszimmer neben Bernhard Klein gesessen, auch als er noch geschlafen hatte. Sie war allein mit ihm, die anderen beiden Betten waren leer und würden es wohl auch über die Feiertage bleiben, wenn kein dringender Notfall eintrat. Wer nur irgendwie konnte, verbrachte die Feiertage zu Hause und nicht in einem Krankenhaus.
»Am Montag kommst du heim, ganz bestimmt«, sprach sie ihm zu.
»Das wäre schön«, meinte Klein müde. »Andererseits müsste ich mich da schon besser fühlen. Ich hab ja niemanden, der auf mich schaut.«
»Ich könnte mich ein wenig um dich kümmern«, schlug Bianca vor. »Zumindest bis ich zu unserem Silvestertreffen in die Blockheide fahre.«
Selbst hier, in dem Zimmer, wo sie jetzt unter sich waren, spürte man die Spitalsluft, die schwer auf alles drückte, am meisten auf das Gemüt: diese unverwechselbare Mixtur aus Desinfektion, Abgestandenheit, menschlicher Notdurft und Krankheit. Man begriff sehr schnell, dass man sich hier in einem eigenen Kosmos befand, der einen alles, was außerhalb geschah, nur mehr erahnen ließ. Dem Leben, das anderswo pulsierte, war man jäh genommen. Man war krank unter Kranken. Das Gesunde schaute kurz zur Tür herein und ging dann wieder. Man konnte nur hoffen, dass sich die Tür auch für einen selbst wieder öffnen würde.
»Mach dir bitte nur ja keine Umstände wegen mir«, gab Klein vorsichtig von sich. »Es wird schon wieder. In Wirklichkeit versäume ich ja nichts.« Sein immer noch einigermaßen dämmriger Zustand ließ ihn die ganze Atmosphäre leichter ertragen.
Er wunderte sich, warum Bianca so lange neben ihm ausharrte. »Ich bin gern bei dir«, sagte sie gleichsam als Antwort auf seine fragenden Blicke. Sie betätschelte ihn. »Sag, hat dir diese Veronika eigentlich irgendetwas bedeutet?«, wollte sie dann wissen.
»Dazu möchte ich nichts sagen«, stieß Klein hervor. Das Sprechen bereitete ihm Anstrengungen, sein Kopf dröhnte. »Das ist zu privat. Weshalb willst du das wissen?«
Immer noch beäugte er sie irritiert. Er kam sich verloren vor. Der Rückhalt, auf den er sich bis jetzt immer hatte verlassen können, sein Gedächtnis, hatte für einen kurzen Zeitraum nicht funktioniert. War es Bianca gewesen, die ihn niedergeschlagen hatte? Er vermochte es nicht zu sagen.
»Weil dieses Flittchen in unser Leben eingedrungen ist, gerade als es anfing, wieder eine Linie zu bekommen«, äußerte Bianca tonlos. »Jetzt ist es weg, das kleine Dreckstück. Glaub ja nicht, dass ich auch nur irgendeine Art von Mitleid für sie empfinde. Sie hat mich lange genug geärgert. Gott sei Dank habe ich sie nie als wirkliche Konkurrenz betrachtet, sondern nur als vorübergehende Störung. Eins von deinen Haserln eben.«
Bianca Roth hatte immer für Bernhard Klein Partei ergriffen und ihre Affinität zu ihm nicht nur zur Schau gestellt, sondern mehrfach bewiesen. Nachdem er seine damalige Bettgenossin aus Eifersucht so brutal verprügelt hatte, dass sie gegen die Tischkante gestürzt war und sich dabei das Genick gebrochen hatte, kam sie auf die Idee, ihn im Gefängnis für die Philosophie zu begeistern und ihm dadurch zu mehr innerer Ruhe zu verhelfen. Bernhard reagierte erstaunlich positiv darauf, las sich ein entsprechendes Wissen an und fand, wie es schien, tatsächlich seinen inneren Frieden. Als er aus dem Gefängnis entlassen wurde, verschaffte sie ihm jene Stelle als Kfz-Mechaniker, die er heute noch innehatte. Sie hatte, was das betraf, so ihre Möglichkeiten. Als er später noch einmal in eine Rauferei verwickelt war – eine blöde, besoffene Geschichte – sprang sie mit einem entsprechenden Geldbetrag ein, um eine Anzeige zu verhindern. Auch diesbezüglich hatte sie ihre Möglichkeiten. Seine Weibergeschichten verzieh sie ihm zum größten Teil. Nur einmal brach sie den Kontakt zu Bernhard für längere Zeit ab, als Strafe sozusagen. Aber sie fand ihn über das Philosophieren wieder und ging fortan mit ihm ins Kaffeehaus, um gegenseitig Gedanken auszutauschen.
Dass aus ihren geistvollen Tischgesprächen eine ganze Philosophenrunde wurde, tat sie als lästige Begleiterscheinung ab. Veronika Plank kam ja damals noch mit ihrem Freund, Jochen Angerer. Auch als sie später nur mehr allein kam und den unvermeidlichen Kontakt zu Bernhard herstellte, übte sich Bianca in Geduld. Sie glaubte fest an ihre Erscheinungen und das, was sie ihr prophezeiten. Sie wusste, dass Ereignisse eintreten würden, die sie am Ende als
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