Philosophenpunsch
und lassen, was er will. Das ist so abgemacht. Das weißt du. Also rede mir bitte in meine Angelegenheiten nicht drein.«
»Vielleicht sind es doch auch meine Angelegenheiten.«
»Ach so. Und warum?«
»Diese Treffen verändern dich. Sie machen einen anderen Menschen aus dir. Ich spüre das.«
»Eifersüchtig? Du hast kein Recht auf mich. Was wir gerade gemacht haben, ist aus Sympathie geschehen. Mehr ist es nicht. Auch das weißt du.«
»Ach komm! So etwas wie Eifersucht hat es doch bei uns nie gegeben. Wir waren immer gleichberechtigte Menschen, du und ich. Gleichberechtigte Verfechter einer Idee. Und darum, nur darum geht es mir. Ich frage mich, ob du dich nicht immer weiter von unseren Idealen entfernst.«
»Und wenn dem so wäre?« Plötzlich, wie eine Bestätigung von Jochen Angerers vorsichtig geäußertem Verdacht, stand die Frage im Raum.
»Es wäre nicht gut.« Angerer lächelte nervös. »Du setzt dich mit diesen bürgerlichen Typen zusammen und plauderst gediegen über Allerweltsthemen. Philosophieren nennt ihr das. Dabei lässt du dich in Dinge hineinziehen, fernab jeder Realität. Es weicht deinen Standpunkt auf. Du engagierst dich kaum mehr bei uns. Bei der Kampagne ›Keine Tiere als Geschenk‹ hast du so gut wie keinen Finger gerührt.«
»Weil man die Kinder und ihre Eltern nur verschreckt hat, anstatt sie darüber aufzuklären, welche Verantwortung sie übernehmen, wenn sie sich zu Weihnachten ein Tier wünschen. Dass Fotos von misshandelten Tieren mit Tannenzweig und Geschenkschleife und der Sprechblase ›Mich hat das Christkind gebracht‹ verteilt wurden, fand ich reichlich geschmacklos.«
»Genau das meine ich. Diese plötzliche Rücksichtnahme. Früher warst du nicht so zimperlich. Da kam dir jede Aktion gelegen, je provokanter, desto besser.«
»Ja, das war eben früher. Du hast recht, ich sehe die Dinge jetzt mit anderen Augen. Ich habe Menschen kennengelernt, die mir beigebracht haben, eine Sache von mehreren Seiten zu betrachten. Ich habe in den letzten Jahren bei vielen Dingen mitgemacht. Ich habe euch oft geholfen, auf mein Risiko, erst unlängst wieder. Es hat Spaß gemacht. Aber im Augenblick kommt mir alles einseitig und so kleinlich vor wie das Spießertum, das du bekämpfen möchtest.«
Jochen Angerer hob dozierend den Zeigefinger: »Du verwechselst einseitig mit eindeutig. Wer keine klare Sprache spricht, der wird seine Anliegen auch nicht durchbringen.« Beide hatten sich in der Zwischenzeit beinahe vollständig angezogen. Das Gespräch hatte dabei den Charakter einer handfesten Auseinandersetzung bekommen.
»Ich höre auf«, verkündete Veronika mit einem Mal entschlossen.
»Du tust … was?«
»Ich höre auf. Ich mache nicht mehr mit. Ich möchte mein Leben ändern, endlich etwas Sinnvolles tun.«
»Nun komm, das kann doch nicht dein Ernst sein.«
»Doch, es ist mein Ernst«, blieb Veronika fest. »Ich wollte es dir schon die ganze Zeit sagen, habe es aber immer wieder hinausgeschoben. Ich muss an mich denken. Wie ich die letzten Jahre gelebt habe, war das reinste Chaos. Ich muss endlich etwas Sinnvolles tun, das Studium abschließen oder am besten gleich arbeiten. So kann das nicht weitergehen.«
Jochen Angerer hatte sich gefasst. »Du kannst mich nicht im Stich lassen«, sagte er. »Nicht jetzt. Bleib wenigstens noch bis zum Sommer.«
»Und was ist dann? Dann jammerst du mich wieder an«, konstatierte Veronika mitleidlos. Sie hatte ihre Entscheidung schneller getroffen, als sie ursprünglich gewollt hatte. Sie durfte sich jetzt nicht mehr davon abbringen lassen.
»Das sind deine neuen Freunde. Besonders der eine, von dem du immer so schwärmst. Hat er es also fertiggebracht, dich umzudrehen. Na, dann lauf doch zu ihm! Nur zu«, machte Angerer seinem Ärger Luft.
»Vielleicht bin ich nicht die linke Aktivistin, die du in mir siehst«, seufzte Veronika. »Vielleicht habe ich eine Zeit lang bloß ein Ventil gebraucht, um Dampf ablassen zu können.«
Jochen Angerer rang nach Worten. Verzweifelt suchte er nach einer Möglichkeit, Veronika zu halten, aber er spürte, dass er die Situation nicht unter Kontrolle hatte. Eine ohnmächtige Wut stieg in ihm auf und lähmte sein Tun. Er wusste, dass er sie, wenn kein Wunder geschah, hier und jetzt, in diesen Augenblicken, verlieren würde.
Dabei hatte er ein Recht auf sie, er, und nicht irgendein dahergelaufener Schnösel, der ihr mit schöngeistigen Reden eine neue Lebenseinstellung einzuimpfen versuchte. Er war
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