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Philosophische Anthropologie

Philosophische Anthropologie

Titel: Philosophische Anthropologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Hartung
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seiner Auffassung nach in einem nur dunkel bewussten Horizont von Wirklichkeit, der weder bestimmt noch gänzlich aufzuhellen ist. Vor diesem Horizont zeichnen sich lediglich Formen in Klarheit ab, so auch die Form der Welt. (Husserl 2002, 49) Husserl zeichnet die Konturen einer natürlichen Welt, in der wir Menschen »dahinleben«, sie ist immer für [96] uns da, und es ist kein Selbst zu denken ohne diese Welt, in der es lebt. Gegen den methodologischen Zweifel Descartes’ führt Husserl eine Struktur von Welt ein, die der Mensch nicht sinnvoll bezweifeln kann. »Alle Bezweiflung und Verwerfung von Gegebenheiten der natürlichen Welt ändert nichts an der Generalthesis der natürlichen Einstellung: ›die‹ Welt ist als Wirklichkeit immer da.« (Husserl 2002, 53) Die Phänomenologie konzentriert sich auf die Analyse dieser Grundstruktur von Welt. Auf den Menschen kommt es ihr nur insofern an, als jeder Mensch in der natürlichen Erfahrungsstellung nicht an ihrer Existenz zweifeln kann. Das aber ist eine vorwissenschaftliche Perspektive, und in der Phänomenologie als Wissenschaft klammert Husserl die menschliche Perspektive ein, denn in der philosophischen Wissenschaft soll es, wie er hervorhebt, nur um einen objektivierenden Blick auf die Gegenstandswelt gehen.
    Im Begriff der Weltanschauung transportiert er jedoch, wie bereits Dilthey, ein Problem von ontologischer Dimension. Angesichts der Frage, wie sich Wirklichkeitserkenntnis konstituiert, musste die ontologische Problemstellung auch für Husserl virulent bleiben. Ihm fehlte allerdings ein Begriff, um das Feld der Unbestimmtheiten, den Bereich der natürlichen Weltanschauung einfangen zu können, bis er den von Eucken, Simmel und Vertretern der Lebensphilosophie geprägten Begriff der Lebenswelt übernahm. Dieser Begriff ist seit seinen Anfängen ein schillerndes Konstrukt. Als gemeinsamer Nenner mag gelten, dass »Lebenswelt« die spezifische Umwelt meint, in der wir Menschen uns natürlich bewegen und verhalten. Sie ist zu unterscheiden von der jeweiligen Umwelt anderer Spezies, die von uns in ontologischer oder biologischer Hinsicht verschieden sind. Sie ist nach Husserls Ansicht auch zu unterscheiden von der physikalisch-mathematischen Welt, denn wir Menschen leben nicht in einer Welt reiner Formen. Des Weiteren ist sie nicht gleichzusetzen mit der Kulturwelt des Menschen.
    Mit dem Begriffskonzept der Lebenswelt verhält es sich wie [97] mit vielen anderen philosophischen Grundbegriffen. Es ist einfacher zu sagen, was er nicht bedeutet, als eine positive Umschreibung zu liefern. Husserl spricht von der »Lebensumwelt« des Menschen im Sinne einer notwendigen Voraussetzung von Erfahrung. Von intentionaler Erfahrung können wir nur sprechen, wenn wir einen Horizont voraussetzen, in den diese hineinreicht. Sie ist nur möglich »auf dem Grunde der passiven Welthabe« (Husserl 1976, 110). Es ist aber nicht dieses Moment der Passivität, das Husserl interessiert, sondern die Möglichkeit, den gesamten Phänomenbereich Lebenswelt zu objektivieren. Was in der Weise eines natürlichen Lebensvollzugs nur vorbewusst wahrgenommen wird, muss nachträglich als Gewissheit ins Bewusstsein hineingeholt werden. »Leben ist ständig In-Weltgewißheit-leben. Wachleben ist, für die Welt wach sein, beständig und aktuell der Welt und seiner selbst als in der Welt lebend ›bewußt‹ sein, die Seinsgewißheit der Welt wirklich erleben, wirklich vollziehen.« (Husserl 1976, 145)
    Husserl stellt den Menschen in den Gegensatz von passiver Welthabe und aktivem In-Weltgewissheit-Leben. Das Ziel phänomenologischer Analyse ist es, diesen Gegensatz aufzulösen und alles Unbestimmte in Gewissheit zu überführen. Das husserlsche Pathos des Wachlebens prägt das methodologische Prinzip einer konsequent reflexiven Einstellung zum Lebensvollzug, um die »Gegebenheitsweise der Lebenswelt« durchschaubar zu machen. Husserl verspricht, durch eine konsequente Aufklärung über die Konstitutionsbedingungen von Welt und Weltanschauungen die, wie er es nennt, »Nebelbildungen im Gehirn des Menschen« zu vertreiben. Der Prozess einer Aufhellung der menschlichen Lebenswelt gelingt in dem Maße, in dem der Mensch von sich selbst absieht. In der Verwissenschaftlichung der Perspektive auf unser Selbst tritt in der Phänomenologie Husserls der allgemeine Mensch oder das transzendentale Ich hervor. Die Pointe seiner Anthropologismus-Kritik lautet, dass unser Fragen nach dem Menschen grundsätzlich

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