Philosophische Anthropologie
einem deutlichen Gegensatz zu Heidegger, nur unter den kommunikativen Bedingungen menschlicher Existenz. »Existenz wird nur dann sich offenbar und damit wirklich, wenn sie mit der andern Existenz, durch sie und zugleich mit ihr, zu sich selber kommt.« (Jaspers 1947, 69)
Auch Maurice Merleau-Ponty (1908–1961) sieht in der Existenzanalyse von Heidegger bis Sartre eine unzulässige phänomenologische Reduktion auf das isolierte Selbst, die der komplexen Einbindung des Menschen in seine Welt nicht gerecht wird. Merleau-Ponty sucht einen Weg, um den cartesischen Dualismus zu überwinden und ihn nicht, wie es bei Heidegger und Sartre letztendlich geschieht, existenzphilosophisch zu vertiefen. Dabei rekurriert er auf Heideggers Analyse des In-der-Welt-Seins, nimmt aber gegenläufige Weichenstellungen vor. Am Leitfaden des menschlichen Leibes als eines »Vehikels zur Welt« geht er zu einer Vorstellung menschlicher Existenz über, die er als »Sein-zur-Welt« begreift. Zentral ist hierbei die Überlegung, dass der Leib nicht Gegenstand von Bewusstsein, sondern selbst Ausgangspunkt aller Wahrnehmung ist.
In seiner
Phänomenologie der Wahrnehmung
(1945) entwirft Merleau-Ponty eine Leibphänomenologie, deren Pointe darin besteht, dass sie die konstitutive Eingebundenheit des [103] Menschen in die Welt und seine schöpferische Gestaltungskraft herausstellt. Auf diese Weise wird die Offenheit der natürlichen Welt wie auch die kommunikative und soziale Seite der menschlichen Welt erschlossen. Parallelen zu diesem Denkansatz finden sich in der Sozialphänomenologie von Alfred Schütz (
Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt
, 1932).
Die Einheit der Welt ist für Merleau-Ponty nicht das Resultat einer konstitutiven Bewusstseinsleistung, sondern vielmehr die Explikation der Weltgewissheit eines »erkennenden Leibes« (Merleau-Ponty 1966, 464). Diese Explikation ereignet sich im menschlichen Ausdruck, vornehmlich in der Sprache. In der Sprache polarisiert sich, wie er anfügt, die menschliche Existenz in einem besonderen »Sinn«, der durch keinen natürlichen Gegenstand zu definieren ist. »Die Sprache ist so der Überschwang unserer Existenz über alles natürliche Sein.« (Merleau-Ponty 1966, 232) Die Frage nach dem Menschsein stellt sich nach Merleau-Ponty anhand der Analyse dieses Spannungsverhältnisses zwischen einer Vertrautheit mit Welt und dem angesprochenen Überschwang, der die Welt transzendiert. Den Menschen zeichnet es aus, dass er die Spannung in schöpferischer Freiheit erträgt und zum sinnhaften Aufbau seiner Welt mit anderen nutzt. Merleau-Ponty holt die Aspekte der Variabilität und Pluralität in die existenzial-phänomenologische Analyse des Menschseins zurück und führt das anthropologische Denken aus seiner – von Heidegger verordneten – Verengung heraus.
Ausgehend von der Philosophie Jaspers legt Hannah Arendt (1906–1975) in ihrer Studie
Vita activa oder Vom tätigen Leben
(1958) eine Untersuchung der kommunikativ-handelnden Situation des Menschen in der Welt vor. Arendts Ausgangspunkt ist die Natalität und Pluralität des Menschseins, die eine Definition des Menschen unmöglich machen. Menschsein bedeutet die Möglichkeit eines ständigen Neuanfangs und einer ständigen Erweiterung der Menschheit (Natalität). Dem korreliert das Faktum, dass menschliches [104] Leben immer durch andere bedingt ist (Pluralität). Aber ebenso wichtig ist für Arendt die Einsicht, dass die Bedingungen menschlicher Existenz gleichsam übernatürlich sind. »Menschen sind bedingte Wesen, weil ein jegliches, womit sie in Berührung kommen, sich unmittelbar in eine Bedingung ihrer Existenz verwandelt.« (Arendt 2002, 18) Arendt gibt im Rekurs auf den Praxisbegriff bei Aristoteles und beim jungen Marx eine Analyse des menschlichen Tätigseins, die mit den Aspekten des Arbeitens, Herstellens und Handelns den Anspruch erhebt, den Gesamthorizont des In-der-Welt-Seins zu erschließen. Ziel ihrer Studie ist es, diejenigen Bedingungen menschlicher Existenz freizulegen, die eine Möglichkeit eröffnen, aus der von Heidegger entworfenen schicksalhaften Spirale von Entfremdung, Weltverlust und Verlassenheit herauszutreten. Arendt skizziert das Bild eines Menschen, der sich seiner schöpferischen, weltbildenden Kraft bewusst ist, Vertrauen in seine Lebensumwelt fasst und in der Kommunikation mit anderen die von ihm gestaltete Welt zu seiner Heimat macht.
Ernst Cassirer
Bei Ernst Cassirer (1874–1945) stehen die Studien zum
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