Phobia: Thriller (German Edition)
auch seine Beine zusammengebunden waren. Und als er den Mund öffnen wollte, spürte er auch dort das Ziehen eines Klebebandstreifens.
Ich bin gefesselt und geknebelt , wurde ihm klar, aber noch immer wollte sich der Nebel in seinem Kopf nicht lichten. Stattdessen drohte er erneut ohnmächtig zu werden – und wahrscheinlich wurde er es auch, denn als er die Augen mit aller Anstrengung wieder öffnete, hatte er den Eindruck, dass noch einmal Zeit verstrichen war.
Ihm war entsetzlich übel, und Schwindel ergriff ihn – so als wäre er gerade aus einem Jahrmarktskarussel gestiegen.
Nur dass er jetzt nicht stand, sondern irgendwo lag. Vielleicht in einer Kiste oder …
In einem Sarg!
Bei diesem Gedanken musste er würgen. Hektisch wollte er nach dem Klebestreifen vor seinem Mund greifen, doch es ging nicht. Wo immer er sich auch befand, der Raum war viel zu eng, um sich darin zu bewegen.
Das Würgen kam wieder und wieder, aber er wusste, dass er dem Drang, sich zu übergeben, auf keinen Fall nachgeben durfte.
Das Klebeband! Wenn ich jetzt kotze, werde ich daran ersticken!
Er biss sich auf die Zunge, so fest es nur ging. Sofort füllte sich sein Mund mit kupfernem Blutgeschmack, aber der Schmerz zeigte Wirkung. Die Übelkeit verschwand, allerdings nur, um einem nicht minder schlimmen Gefühl Platz zu machen.
Denn mit der anschwellenden Panik löste sich zwar der Nebel in seinem Kopf auf, aber nun kehrte die Erinnerung an seine Klaustrophobie zurück. Seit ihn sein älterer Bruder als Vierjährigen über mehrere Stunden in eine Besenkammer eingesperrt hatte, konnte er enge, geschlossene Räume nicht mehr ertragen. In kleinen Räumen bekam er Schweißausbrüche, spätestens wenn die Tür geschlossen wurde. Deshalb mied er auch Aufzüge oder Fahrten in der überfüllten U-Bahn zur Rushhour wie die Pest.
Und dieses Mal war es weitaus schlimmer als ein enger Fahrstuhl oder eine Besenkammer. Dort hätte er sich wenigstens noch bewegen können. Aber hier …
Ich muss hier raus! Ich muss hier raus, verdammt noch mal!
Er wand sich, drückte mit Füßen, Knien und Ellenbogen gegen die Wände seines entsetzlichen Gefängnisses, doch damit erreichte er gar nichts.
Und dann gewann die Panik endgültig die Oberhand. Er wollte schreien und versuchte mit aller Macht, den Mund aufzureißen, aber das Klebeband hielt seine Lippen unbarmherzig zusammen und erstickte seinen Schrei.
Sein Puls raste, drohte die Adern in seinen Schläfen zu sprengen, und sein Atem ging immer schneller. Bald schon tanzten leuchtend weiße Flecken vor seinen Augen.
Und dann verlor er erneut das Bewusstsein.
11.
Du wirst versagen.
Da war sie wieder, diese hässliche Stimme, und diesmal glaubte Sarah, ihr einen Namen geben zu können: Überforderung .
Sie stand inmitten des Schlafzimmers, hielt ihren kleinen Sohn fest, der sich verängstigt an sie klammerte, und war eine Gefangene in ihrem eigenen Haus.
Um sie herum herrschte bedrohliche Stille. Aus dem Erdgeschoss war kein Laut zu hören. Nicht einmal das Klappern von Geschirr.
Was, zur Hölle, tat der Kerl da unten? War er überhaupt noch in der Küche, oder hatte er sich bereits zu ihnen hochgeschlichen und wartete vor der Tür?
Das Messer, ich darf nicht an das Messer denken!
Sie fühlte sich wieder wie das kleine Mädchen von einst, wenn sie in ihrem Zimmer am Boden gekauert und dem Streit ihrer Eltern gelauscht hatte. Dem Brüllen ihres betrunkenen Vaters und dem leisen Schluchzen ihrer Mutter, die seinen Beschimpfungen nichts entgegenzusetzen vermochte. Damals hatte sie sich hilflos und ausgeliefert gefühlt. Was hätte sie auch tun können, klein und schwach, wie sie gewesen war?
Aber jetzt bin ich kein kleines Mädchen mehr , rief sie sich ins Bewusstsein. Jetzt bin ich eine erwachsene Frau. Und ich bin die Mutter eines Kindes, das meine Hilfe braucht. Ich bin für Harvey verantwortlich .
Satz für Satz sprach sie sich dies in Gedanken vor, und tatsächlich wurde die Stimme der Überforderung leiser und leiser. Sie verschwand nicht völlig, aber sie verlor genug von ihrer Macht, um ihrem Selbstvertrauen den notwendigen Platz einzuräumen.
Sie durfte nicht länger warten. Die verkeilte Tür würde sie beide nicht ewig vor diesem Verrückten schützen. Und solange er die Tür in Ruhe ließ, blieb ihr noch Zeit zu handeln.
Sie mussten sich in Sicherheit bringen und Hilfe holen. Aber wie? Das Schlafzimmer hatte nur ein Fenster, das angrenzende Bad keines. Es gab also nur diesen
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