Phobia: Thriller (German Edition)
stand, entwich ihr ein irres Kichern.
Da stand sie nun, in Nachthemd und Morgenmantel und mit einem vermutlich verstauchten Arm, aber sie hatte es geschafft. Sie war im Freien, und sie hatte sich nicht das Genick gebrochen.
Sie sah noch einmal kurz zum Fenster hoch, dann lief sie an der Hauswand entlang zur Zufahrt.
Bis zum Haus der Spencers waren es nur wenige Meter. Sie würde keine Minute brauchen. Aber zuerst musste sie am Carport mit Stephens Mercedes vorbei, und gleich daneben war die Haustür. Wenn der Narbenmann sie gehört hatte oder ahnte, was sie vorhatte, wäre ihm Zeit genug geblieben, zurück ins Erdgeschoss zu laufen und ihr hier aufzulauern.
Sicherlich hatte er noch immer das Messer, und ihr blieb jetzt nur noch ein Arm, um sich gegen ihn zu wehren, und …
Weiter!
Jetzt war die Stimme ihrer Überforderung völlig verstummt. Jetzt regierte nur noch ihr Selbsterhaltungstrieb, angespornt durch die Angst um Harvey.
Sie atmete tief durch, machte sich darauf gefasst, dass der Bewegungsmelder die Hofbeleuchtung aktivierte, und rannte los. Den gesunden Arm hielt sie vor sich angewinkelt. Wer immer sich ihr jetzt in den Weg stellte, würde von ihrer Wucht niedergeschlagen werden.
Augenblicklich sprang das Licht an und blendete sie, während sie mit blanken Füßen über den Asphalt lief.
12.
Harvey blieb mucksmäuschenstill. Zusammengerollt wie ein Igel kauerte er bewegungslos auf dem Boden des Wäschekorbs, in dem es nach dem Rattan der engmaschigen Flechtwände, getragener Wäsche und dem Parfüm seiner Mutter roch.
Er bemühte sich, so flach wie möglich zu atmen, und stellte sich vor, dass er sich hier nur zum Spaß versteckte – so wie er sich an Halloween versteckt hatte, um seine Eltern zu erschrecken.
Er dachte daran, wie sich die Frankensteinmaske auf seinem Gesicht angefühlt hatte, dachte an ihren unangenehmen Latexgeruch und an seine Vorfreude, wenn er mit einem lauten »Buh«-Schrei den Korbdeckel wegstoßen und in die erschrockenen Gesichter von Mum und Dad sehen würde. Und er stellte sich vor, wie sie anschließend alle gelacht und sich umarmt hatten.
Tröstende Erinnerungen, die ihn von seiner Furcht ablenkten.
Das Poltern an der Tür hatte aufgehört, aber Harvey zitterte noch immer – nicht mehr so schlimm wie vorhin, als er die Angst in den Augen seiner Mutter gesehen hatte, aber es wollte auch nicht ganz aufhören.
Angespannt lauschte er.
Ob der Mann gegangen war?
Vielleicht hatte er ja aufgegeben?
Was war das überhaupt für ein Mann?
Was wollte er von ihnen?
Es war so unheimlich. Wie er mit ihnen durch die Tür gesprochen hatte … als ob er sie kannte . Und er hatte ihn beim Namen genannt.
Harvey .
Sein Herz machte einen Sprung, als es plötzlich wieder an der Tür polterte. Einmal, dann noch einmal, dann splitterte Holz, und etwas Schweres fiel zu Boden.
Der Stuhl! Er hat die Tür aufgebrochen und den Stuhl umgeworfen!
Er hörte Holz auf Holz schlagen. Die Tür, die aufgedrückt wurde und den Stuhl über den Teppichboden beiseiteschob.
Entsetzt rollte er sich noch mehr zusammen, so eng, dass er kaum noch atmen konnte.
Schritte näherten sich über den Teppich, leise und gedämpft. Sie kamen auf das Badezimmer zu, gingen an ihm vorbei und entfernten sich wieder.
Durch das Korbgeflecht sah er zwei dünne Schatten. Das mussten die Beine des Mannes sein. Er war zum Fenster gegangen und dort stehen geblieben.
Harvey hielt den Atem an. Er konnte hier drin kaum etwas sehen, nur die Lichtpunkte zwischen den Korbmaschen, aber er war sicher, dass der Mann nun aus dem Fenster sah.
Eine Weile geschah nichts, dann hörte er wieder die Schritte. Diesmal kamen sie direkt auf ihn zu.
Gleich darauf vernahm er das Klacken von Schuhsohlen auf dem Fliesenboden im Bad, und es wurde noch dunkler in seinem Versteck.
Harvey spürte, wie sich die feinen Härchen in seinem Nacken aufstellten.
Jetzt stand der Mann direkt vor ihm.
»Hallo, Harvey. Ich weiß, dass du da drin bist.«
Die Stimme des Mannes klang ruhig, beinahe sanft, und Harvey dachte, dass sich so wohl auch die Stimme des Wolfs vor dem Haus des dritten Schweinchens angehört haben musste. Nur dass Harveys Versteck nicht aus Backsteinen war …
»Keine Angst, Junge, ich werde dir nichts tun.«
Ja, sicher , dachte Harvey. Das hat der böse Wolf auch gesagt.
»Ich will, dass du deiner Mutter etwas von mir ausrichtest. Wirst du das für mich tun, Harvey?«
Harvey gab keinen Mucks von sich. Selbst wenn er gewollt
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