Phobia: Thriller (German Edition)
es.
»Sarah? Harvey? Was habt ihr mit der Tür gemacht?«
Harvey starrte auf die Tür und drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand, als wollte er durch sie hindurch verschwinden. Dabei kam ein leises Wimmern über seine Lippen, das Sarah noch mehr frösteln ließ als der kalte Wind, der sie durch das Fenster anwehte.
»Kommt schon, macht auf«, sagte die Stimme des Narbenmannes auf dem Flur.
Er klang auf unheimliche Weise freundlich, fand Sarah, fast schon vertrauenerweckend, wäre da nicht dieser bestimmende Unterton gewesen.
Sie verlor keine weitere Sekunde und ließ auch die zweite Matratze in den Garten fallen. Doch diesmal wurde sie von einer stärkeren Böe erfasst, und als sie zum Liegen kam, überlappte sie die andere Matratze nur wenige Zentimeter.
»Fuck!« Entsetzt umklammerte Sarah den Fensterrahmen. »Fuck, fuck, fuck!«
Er hätte sich das Genick brechen können , echote die Stimme ihrer einstigen Nachbarin in ihrem Kopf, gefolgt von Sarahs eigener Gedankenstimme: Eine erwachsene Person könnte den Sprung unbeschadet überstehen. Jedenfalls vielleicht . Aber du willst doch nicht allen Ernstes deinen kleinen Sohn aus dem Fenster springen lassen? Ist dir klar, was passieren wird, wenn er dein provisorisches Sprungkissen dort unten verfehlt?
Aber was war die Alternative? Harvey hier zurücklassen, wo der Kerl mit dem Messer ihn finden würde?
Niemals!
Und wenn er ihn nicht findet? , konterte die Gedankenstimme. Du hast ihn hier drin auch schon einmal nicht gefunden, erinnerst du dich?
Sie rieb sich den kalten Schweiß aus der Stirn und sah sich fieberhaft im Schlafzimmer um, während der Narbenmann erneut an der Türklinke rüttelte.
»Sarah, ich bitte euch, macht auf! Was habe ich dir denn getan?«
Nichts. Noch nicht , dachte sie. Und du willst natürlich nur einmal richtig lange mit uns ausschlafen. Und dazu wirst du das gottverdammte Messer brauchen!
»Mummy«, flüsterte Harvey. Er war kreidebleich. »Er soll weggehen!«
Sie sah ihrem Sohn tief in die Augen, kämpfte gegen das Gefühl der Hilflosigkeit in sich an, das wieder die Oberhand zu gewinnen drohte, und dann traf sie die wohl schwerste Entscheidung ihres Lebens.
»Ich werde Hilfe holen«, flüsterte sie ihm zu. »Aber ich kann dich nicht mitnehmen.«
Harveys entsetzter Blick zerriss ihr beinahe das Herz, aber ihr blieb keine andere Wahl.
Wieder klopfte der Narbenmann gegen die Tür, diesmal heftiger.
»Sarah! Harvey! Verdammt, was soll das?«
Jetzt klang er wütend.
Sie nahm Harvey bei den Schultern und kniete sich vor ihn. »Hör zu, Schatz«, flüsterte sie und spürte sein Zittern. »Weißt du noch, wie du dich hier oben an Halloween versteckt hast?«
Er nickte heftig. »Jack in the box.«
»Genau.« Sie strich ihm durchs Haar. »Du hast Jack in the box gespielt. Wir hätten dich dort nie gefunden.«
Und das war nicht übertrieben. Harvey hatte seine Eltern zu Tode erschreckt. Nicht, weil er plötzlich aus dem Wäschekorb gesprungen war, als sie ihn im ganzen Haus gesucht hatten, sondern weil sie minutenlang wirklich davon überzeugt waren, er sei verschwunden.
Harvey sah zur Tür, an der jetzt wieder gerüttelt wurde, und plötzlich trat ein seltsamer Ausdruck auf sein Gesicht. Es war ein Ausdruck, der nicht zu einem Sechsjährigen passte, eher zu einem jungen Mann, der sich darüber klar wurde, was jetzt zu tun sei. Ein Ausdruck der Entschlossenheit.
Dann machte er kehrt und lief zum Wäschekorb im Badezimmer. Sarah folgte ihm und half ihm, in den Korb zu klettern, und als er sich dort zusammenkauerte, war da noch immer dieser entschlossene Blick, der sie schaudern ließ.
»Ich werde Hilfe holen«, flüsterte sie ihm zu, ehe sie ihn unter den Wäschestücken verbarg und den Deckel schloss.
Es kostete sie übermenschliche Überwindung, aber schließlich lief sie zum Fenster, warf auch die beiden Bettdecken und die Kissen zu den Matratzen und kletterte hinaus.
An den Fensterrahmen geklammert, galt ihr letzter Blick dem Wäschekorb in der Ecke des Badezimmers. Dann stieß sie sich mit den nackten Füßen von der rauen Hauswand ab.
Sie ruderte mit den Armen und traf mit den Füßen auf den Matratzen auf. Sie wurde zur Seite geschleudert, weiter den Abhang hinunter. Ein greller Schmerz schoss durch ihren linken Arm, als sie neben der Hecke zum Liegen kam, und sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut aufzuschreien.
Mühsam richtete sie sich auf. Sie schüttelte sich, und als sie schließlich aufrecht
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