Phobia: Thriller (German Edition)
trat sie nach den Kugelschreibern, die wie ein bunter Haufen Mikadostäbe durcheinanderfielen, dann sah sie zur Wanduhr hoch.
Fast drei Stunden , dachte sie erschrocken. So lange durchsuchte sie nun schon sein Arbeitszimmer nach einem Anhaltspunkt, und was hatte sie gefunden?
Nichts .
Nur Berge von Ordnern und Unterlagen über Projekte, die bereits in die Wege geleitet oder abgeschlossen waren.
Stephen hatte von der Aussicht auf ein neues Projekt gesprochen, das wusste sie jedenfalls sicher. Aber offenbar gab es keinerlei Aufzeichnungen darüber. Zumindest nicht hier. Er musste alle relevanten Unterlagen mitgenommen haben.
Irgendetwas war in den letzten Jahren schiefgelaufen, das spürte Sarah mehr denn je. Sie hatten sich voneinander entfernt. Jeder hatte sein eigenes Leben geführt. Und obwohl Sarah es seit Langem bemerkt hatte, hatte sie keine Anstrengung unternommen, etwas dagegen zu tun. Im Gegensatz zu Stephen – das wurde ihr jetzt schmerzlich bewusst. Oft genug hatte Stephen versucht, sich ihr wieder anzunähern, und ebenso oft hatte sie ihn auflaufen lassen. Was sollte denn nicht stimmen? Nein, in ihrer kleinen Ehewelt war doch alles in bester Ordnung!
Nun sah sie das Ergebnis: Nun war sie die Ehefrau, die viel zu wenig von ihrem Mann wusste. Nicht einmal das Passwort zu seinem Computer, um in seinem Terminkalender nachsehen zu können. Sämtliche Passwörter, die ihr in den Sinn gekommen waren, hatten sich als falsch erwiesen. Wie es schien, bediente sich ihr Mann nicht mehr der Vornamen, Kosenamen oder Geburtstage der Familienmitglieder, wie er es früher getan hatte. Und falls Stephen seine Angewohnheiten nicht geändert hatte und immer noch zusätzlich zum elektronischen Organizer seines Smartphones einen klassischen Terminkalender benutzte, so musste er ihn ebenfalls mitgenommen haben.
Natürlich hat er das , dachte sie frustriert. Ich hätte den Kalender an seiner Stelle ja auch mitgenommen. Der Technik kann man schließlich nicht trauen. Aber einen Versuch war es trotzdem wert. Ich muss doch etwas tun ! Ich kann doch nicht nur herumsitzen und warten, bis die Polizei seinen Wagen findet .
Aber wie sollte sie jetzt weitermachen?
Bei sämtlichen seiner Kunden anrufen und fragen, ob sie zufällig wussten, wo sich ihr Mann gerade aufhielt?
Oder alle Krankenhäuser des Landes abtelefonieren?
Wie viele Notaufnahmen mochte es wohl allein in Kent geben?
Falls Stephen überhaupt nach Kent gefahren ist .
Sie war sich ja nicht einmal mehr sicher, ob er tatsächlich von Kent gesprochen hatte. Stattdessen erinnerte sie sich jetzt, worüber sie wirklich nachgedacht hatte, als Stephen sich von ihr für die nächsten Tage verabschiedet hatte – daran, dass Harveys Frühstücksflocken zur Neige gingen, und dass sie auf dem Rückweg vom Supermarkt etwas beim Italiener mitnehmen würde, eine große Portion von Harveys Lieblings-Spaghettigericht und etwas Süßes zum Nachtisch.
Daran hatte sie gedacht, während ihr Mann mit seinem Koffer im Flur gestanden hatte. Das waren inzwischen ihre Prioritäten.
Am liebsten hätte sie sich dafür selbst geohrfeigt.
Sie konnte nichts tun, so sah die Wahrheit aus. Das war ebenso frustrierend wie die Angst, die sie vor ihrem eigenen Haus entwickelt hatte. Die Furcht davor, beim Eintreten von einem fremden vernarbten Gesicht empfangen zu werden – von einem Mann, dem Stephens Anzug viel zu klein war und der ein Küchenmesser in der Hand hielt.
Während der letzten drei Stunden war sie immer wieder zusammengefahren, wenn der Heizkörper ein leises Brummen von sich gegeben oder der Kühlschrank in der Küche sich eingeschaltet hatte. Kleine Alltagsgeräusche, die sie Tag für Tag hörte, waren nun zu Lauten geworden, die sie erschreckten. Daran änderte auch die Alarmanlage nichts, die sie während ihrer Abwesenheit eingeschaltet hatte, wie immer, wenn niemand im Haus war. Sie hatte auch bereits den Schlüsseldienst bestellt, aber eine freundliche junge Frau hatte ihr am Telefon erklärt, ihr Haustürschloss werde man frühestens in zwei Tagen austauschen können, schneller gehe es beim besten Willen nicht.
Willkommen im Club meiner Ängste , dachte Sarah in einem Anflug von verzweifeltem Sarkasmus und rieb sich erschöpft die Schläfen.
Aber was mache ich mir Gedanken um das Haus? Es gibt ohnehin keinen Grund für uns, hierher zurückzukommen. Stephen wird sich nicht melden. Ich habe bis jetzt nichts von ihm gehört, und ich werde auch weiterhin nichts von ihm
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