Phobia: Thriller (German Edition)
sinken. Sie konnte minutenlang keinen klaren Gedanken fassen. Schließlich fiel ihr Blick auf die Visitenkarte, die sie noch immer in der Hand hielt.
PI MARTIN PRYCE
Metropolitan Police Service
Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und wählte die Nummer. Ihre Finger zitterten, und sie hatte Mühe, die richtigen Tasten zu treffen. Tatsächlich meldete sich eine elektronische Frauenstimme, die ihr mitteilte, dass die gewählte Rufnummer nicht existierte.
»Ich muss mich zusammennehmen«, murmelte sie. »Sonst verliere ich noch den Verstand.«
Der zweite Versuch glückte. Als Pryce sich meldete, durchströmte Sarah ein merkwürdiges Gefühl der Erleichterung. Es musste daran liegen, dass sie der Polizist sofort wiedererkannte.
»Oh, Mrs. Bridgewater! Sehr freundlich, dass Sie anrufen, aber das wäre nicht nötig gewesen, wir wissen schon Bescheid.«
»Verzeihung?«
»Ihr Mann hat sich bereits bei uns gemeldet.« Seine Antwort traf Sarah wie ein Stromstoß. »Ich bin froh, dass sich die Sache so schnell aufgeklärt hat. So ein defekter Handy-Akku kann eine ziemliche Plage sein, wenn man spätnachts irgendwo in der Walachei unterwegs ist.«
»Aber der Mann in meinem Haus …«
»Keine Sorge«, unterbrach er sie, und sie hörte das Heulen einer Polizeisirene im Hintergrund, »wir werden die Sache im Auge behalten und weiterhin verstärkt in Ihrer Gegend patrouillieren. Jetzt entschuldigen Sie mich bitte, wir sind gerade zu einem Einsatz unterwegs. Aber danke für Ihren Anruf.«
Damit unterbrach er die Verbindung.
Sarah würgte, sie sprang auf und rannte zur Toilette.
23.
Das Haus, in dem die beiden Professoren als vorgebliche Halbbrüder gelebt hatten, befand sich in einem noblen Viertel in Kensington. Es war ein schmucker viktorianischer Bau, der fast hochherrschaftlich anmutete.
Nicht weit davon entfernt erstreckten sich die einstigen königlichen Parkanlagen, und nur wenige Straßen weiter östlich verbarg sich eines der in den Achtzigerjahren wohl bekanntesten Gebäude dieser Gegend hinter einer hohen Mauer: Logan Place Nr. 1, die ehemalige Villa von Freddie Mercury.
Mark erinnerte sich, wie er als Teenager stundenlang vor dem Tor gewartet hatte, in der stillen Hoffnung, ein Autogramm zu ergattern. Doch mehr als Ärger hatte ihm dieses Warten nicht eingebracht. Er und zwei seiner Freunde waren von einer Polizeistreife überprüft worden, und als die Polizisten sie zum Weitergehen aufgefordert hatten, war es zum Streit gekommen. Mark hatte sich im Recht gefühlt, immerhin standen sie auf einem öffentlichen Gehweg und nicht auf dem Privatgründstück des Sängers. Doch die Polizisten hatten das anders gesehen. Sie hatten die Personalien der Jungs aufgenommen und ihnen eine schriftliche Verwarnung verpasst.
Mark konnte sich nur zu gut an das zornrote Gesicht seines Vaters erinnern und wie er seinen aufsässigen halbwüchsigen Sohn auf Deutsch ausgeschimpft hatte, damit Marks Mutter nicht jedes Wort mitbekam.
Als Sohn eines leitenden Bankangestellten habe Mark sich verflucht noch mal zu benehmen, denn die Leute kämen in seine Bank, weil sie einem Mann mit gutem Ruf vertrauten. Ob Mark denn allen Ernstes wegen eines herumjaulenden Rock’n’Roll-Idioten den guten Ruf seiner Familie schädigen wolle?
Was denn als Nächstes käme?
Ob er sich vielleicht ebenfalls die Haare wachsen lassen und herumgammeln wolle?
Doch Mark hatte sich stattdessen die Haare abrasiert und in einer Punkband gespielt, zunächst am Bass und dann als Leadgitarrist – was wohl einer der Gründe dafür gewesen war, weshalb sie es nie weit gebracht hatten.
Aber da seine Schulnoten nach wie vor hervorragend waren, hatte sein Vater den Kampf der Generationen schließlich aufgegeben und sich mit Mark versöhnt. Sicherlich hatte auch das gute Zureden von Marks Mutter eine Rolle dabei gespielt. Wenn selbst eine Konzertpianistin Verständnis für die, aus Sicht seines Vaters, abartigen Musikvorlieben ihres Sohnes zeigte, dann hatte sein völlig amusischer Vater als Mann der Zahlen dem nicht viel entgegenzusetzen. Und als Mark schließlich auf seinen ursprünglichen Plan einer Musikerkarriere zugunsten eines Medizinstudiums in Oxford verzichtet hatte, waren sämtliche vorangegangenen Streitereien endgültig vergessen.
Wahrscheinlich hätte Marks späterer Entschluss, das Fachgebiet der Psychiatrie zu wählen, für neue Spannungen gesorgt – eine Chirurgenkarriere hätte sicherlich eher dem Wunsch seines alten Herrn entsprochen
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