Phoenice wechselt die Seiten (German Edition)
entfernte. Währenddessen holte der mittlere Priester vor der Hauptbühne ein Schälchen aus seinem Umhang hervor. Er drehte es ehrfurchtsvoll in den Handflächen. Die nebenstehende Gestalt füllte es mit einer handvoll Zutaten, die Phoenice aus der Entfernung nicht erkennen konnte. Der Priester drehte sich mit dem Schälchen zur anderen Seite. Die dritte rotgoldene Robe griff ebenfalls in ihre Innentaschen, um dem Inhalt etwas zuzufügen. Rauch stieg aus den Handflächen des Priesters auf. Die Menge der weißen Roben jubelte.
Baal sprach etwas von reinigendem Fegefeuer, doch Phoenice hörte nicht genau hin. Der Geruch von Weihrauch und anderen Dämpfen drang ihr in die Nase. Die Rotgoldenen entzündeten mehrere Schälchen und reichten sie an die gewöhnlichen Spitzen weiter. Diese rochen reihenweise daran und gaben den Dampf in der Menge weiter. Der Rauch verdichtete sich und vernebelte Sinne und Sicht. Wie die Festivalgäste darauf reagierten, konnte sie nicht sehen. Sie konnte überhaupt kaum etwas sehen. Der Duft schien Baals endlose Predigt erträglicher zu machen. Bestimmt hatte er recht, mit allem, was er sagte. Ab hier
'Halt!' Sie durfte nicht ohnmächtig werden! Sie versuchte, sich auf Rockos Sturmfrisur zu konzentrieren. Für ihre Aufgabe war es wichtig, dass sie bei Sinnen blieb. Der Priester reichte ihr einen Kelch. Misstrauisch schnupperte sie an der Flüssigkeit. Es schien sich um Wasser zu handeln. „Damit du nicht dusselig wirst!“ zischte er ihr zu. Er kümmerte sich rührend um sie.
Sie trank und konzentrierte sich wieder auf die Bühne, auf der Baal stand. Mit beiden Händen hielt er eine riesige, golden glänzende Schalenwaage. Aus beiden dampfte es. Die schwarzen Kapuzen stimmten einen Gesang an, der Baal in Trance zu versetzen schien. Er drehte sich mit dem imposanten Ding in den Händen um sich selbst. Der Priester neben ihm, nahm einen langen Zweig, den er abwechselnd in die rechte und die linke Waagschale hielt. Damit benetzte er Baals Stirn. Hin und wieder verspritzte er ein paar Tropfen in die Menge. Die vordersten Kapuzen versuchten jedes Mal, wenigstens einen davon auf ihr Kostüm zu bekommen.
Phoenice blickte suchend in die Menge. Wo war denn Dan? Wann plante er, diesen Irrsinn zu beenden? Sie musste doch hoffentlich nicht alleine durch das Meer der weißen Roben mit den schwarzen Kapuzen?
Je mehr sie darüber nachdachte, desto weniger behagte ihr die Situation. Entweder würden sie die Maskierten für ihren Verrat töten, oder die Festivalgäste in der Meinung, einen Feind vor sich zu haben. Sie konnte ihre Gedanken drehen und wenden, wie sie mochte, alle betrachteten sie als Feinde. Verzweifelte betrachtete sie die ekstatische Menge. Zum Glück verbarg die Maske ihre Emotionen.
Baal wurden die Waagschalen abgenommen. Er klatschte mit den Händen und ließ sich auf die Knie fallen. Die schwarzen Kapuzen senkten sich. Fast zeitgleich hatten sie sich auf die Knie geworfen. Phoenice kam es vor, als fiele sich eine schwarze Decke zu Boden. Sie murmelten alle halblaute Gebetsformeln vor sich hin. Für Phoenice verschmolzen die Worte zu einem fließenden, vorbei plätschernden Gewässer. Sie verstand kein Wort. Wie das Rauschen des Wassers trieb das Gemurmel dahin. Wann war der richtigen Moment, von dem Dan gesprochen hatte?
Sie schloss die Augen. 'Nicht denken', ermahnte sie sich. Sie vertrieb alle Gedanken aus ihrem Kopf. Wie im Dojo zu Beginn eines Trainings leerte sie ihren Geist.
Für das Kommende brauchte sie einen klaren Kopf. Still stand sie da und dachte an gar nichts.
Plötzlich riss sie der Priester neben ihr aus ihrer Konzentration. „Schnell!“ drängte er flüsternd. „Es muss beendet sein, bevor sie aufstehen!“ Das Gemurmel floss weiter. Jetzt war es also soweit. Er gab ihr den Befehl, die Hinrichtung zu vollziehen. Er selber würde sich die Hände nicht schmutzig machen, er gab ihr nur Handzeichen.
Der Moment war gekommen. Irgendwessen Erwartungen mussten jetzt enttäuscht werden. Phoenice hoffte, dass es sich dabei nicht um ihre eigenen handelte.
So heftig, wie es ihr möglich war, riss sie ihr Knie hoch und trat ihre Ferse gegen seine schwarze Maske. Ein Krachen verriet ihr, dass seine Nase brach. 'Sorry',dachte sie, 'das musste sein.' Ein harter, aber dafür sehr effektiver Tritt. Sie wusste: Die Augen tränen für gewöhnlich danach, sodass der Priester für einen kurzen Moment außer Gefecht war. Rocko wand sich in seinen Handschellen. Verängstigt
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