Phönix
sind, und das gibt uns die Möglichkeit zu sehen, wo wir stehen.
Der Imperator, Baronet Taltos, hat während unserer langen Geschichte nie das Imperium regiert, außer hin und wieder einige kurze Augenblicke, wie etwa Korotta der Sechste zwischen der Zerstörung der Baronien im Norden und der Ankunft der Gesandtschaft von Herzog Tinaan.«
»Davon weiß ich nur wenig, Euer Majestät.«
»Unwichtig. Ich will auf etwas hinaus. Die Bauern bauen Nahrungsmittel an, die Edelleute verteilen sie, die Handwerker fertigen Güter, die Händler verteilen sie. Der Imperator sitzt abseits und sieht allen Vorgängen zu, damit nichts diesen Fluß unterbricht, und um die Desaster abzuwehren, die unsere Welt von Zeit zu Zeit auf uns wirft – Desaster, die Ihr Euch kaum vorstellen könnt. Ich versichere Euch zum Beispiel, daß Geschichten aus dem Interregnum von der Erde, die sich auftut und Feuer ausspeit, und von Winden, die Leute davontragen, keine Mythen sind, sondern passieren würden, gäbe es das Gestirn nicht.
Aber der Imperator sitzt da und wartet und studiert und beobachtet das Imperium auf solche Geschehnisse hin, die, wenn sie nicht untersucht würden, Desaster erzeugen könnten. Geschieht so etwas dann doch, hat er drei Mittel zur Hand. Kennt Ihr die?«
»Ich kann zwei davon erraten«, sagte ich. »Das Gestirn und den Kriegsherrn.«
»Ihr habt recht, Baronet. Das dritte ist subtiler. Ich meine damit die Mechanismen des Imperiums durch die Imperialen Wachen, die Rechtssprecher, die Wahrsager, Zauberer, Boten und Spione.
Diese«, sprach sie weiter, »sind die Waffen, die mir zur Verfügung stehen, um sicherzustellen, daß Getreide aus dem Norden nach Süden gelangt, wo es gebraucht wird, und Eisen aus dem Westen zu Schwertern wird, die im Osten benötigt werden. Ich regiere nicht, ich reguliere. Ja, wenn ich einen Befehl erteile, wird er ausgeführt. Aber kein Imperator, ob mit Gestirn oder ohne, kann wissen, ob jeder Minenbesitzer der Vallista ehrliche Berichte schreibt und wirklich jede Tonne Erz schickt, wenn er es behauptet.«
»Aber wer regiert dann, Euer Majestät?«
»Wenn im Norden Hunger herrscht, regieren die Fischer im Süden. Wenn Minen und Schmieden im Westen produzieren, regieren die Transportbarone. Wenn die Ostländer unsere Grenzen bedrohen, regieren die Armeen im Osten. Meint Ihr politisch? Selbst das ist nicht so einfach wie Ihr glaubt. Zu Beginn unserer Geschichte regierte niemand. Später tat es jedes Haus durch seinen Erben, der jedes Haus regierte. Dann wurden es die Edelleute aller Häuser. Eine kurze Zeit am Ende des letzten Zyklus regierte tatsächlich der Imperator, aber das war nur von kurzer Dauer, und er wurde durch Mord, Verschwörung und seine eigene Dummheit abgesetzt. Heute sind es, glaube ich, mehr und mehr die Händler, besonders die Karawanenführer, die den Warenfluß und den Nahrungsmitteltransport von einer Seite des Imperiums zur anderen kontrollieren. In Zukunft, vermute ich, werden es die Magier sein, die jeden Tag neue Dinge können, die vorher nicht möglich waren.«
»Und Ihr? Was tut Ihr?«
»Ich beobachte die Märkte, ich beobachte die Minen, ich beobachte die Felder, ich beobachte die Herzöge und Grafen, ich schütze vor Desastern, ich schmeichle jedes Haus in die Richtung, die ich brauche, ich – was soll dieser Gesichtsausdruck, Baronet?«
»Jedes Haus?« wiederholte ich. » Jedes Haus?«
»Ja, Baronet, jedes Haus. Ihr wußtet nicht, daß der Jhereg in dieses Schema paßt? Das muß er aber, warum würde man ihn andernfalls tolerieren? Der Jhereg nährt sich von den Teckla. So hält er die Teckla zufrieden, indem er ihnen das liefert, was ihre Existenz erhellt. Ich meine nicht die Bauern, ich meine die Teckla, die in den Städten leben und die gemeinen Dienste erledigen, die keiner sonst erledigen möchte. Das ist das rechtmäßige Opfer für Euer Haus, Baronet, denn wenn sie unzufrieden werden, verliert die Stadt an Effizienz, und die Edelleute beschweren sich, und das zarte Gleichgewicht unserer Gesellschaft ist bedroht.«
Jetzt hatte der Boden wieder Gefälle; ich merkte, daß meine Beine es wohl überleben würden. »Und diese Leute«, sagte ich, »bedrohen den Jhereg, deshalb müssen sie beseitigt werden. Ist das richtig?«
»Euer Haus glaubt das, Lord Taltos.«
»Dann haltet Ihr sie gar nicht wirklich für eine Bedrohung des Imperiums?«
Sie lächelte. »Nein, nicht direkt. Aber wenn die Teckla unzufrieden werden, nun, dann werden andere es auch.
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