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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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ein Wassertropfen ein volles Glas zum Überlaufen bringt; ob dieses Ereignis an sich mehr oder weniger wichtig ist, das scheint uns schwer zu bestimmen. Indessen ist der Zeitraum, der jedenfalls zwischen dem Tage, wo deine Frau deine Anstalten bemerkt hat, und jener letzten Stunde verstreichen wird, die das verhängnisvolle Ende eures guten Einvernehmens bezeichnet, immerhin beträchtlich genug, so daß du eine Anzahl von Verteidigungsmitteln anwenden kannst, die wir hiermit ausführlicher behandeln wollen.
    Bis dahin hast du deine Ehre nur geschützt, indem du völlig geheime Kräfte spielen ließest. Von nun an wird das Räderwerk deiner Maschinen für den Ehekrieg offen zutage liegen. Bisher suchtest du das Verbrechen zu verhindern. Jetzt gilt es, loszuschlagen. Du hast mit Unterhandlungen begonnen und steigst zuletzt zu Pferde, mit gezogenem Säbel, wie ein Pariser Stadtgendarm. Du wirst deinen Gaul Kapriolen machen lassen, wirst deinen Säbel schwingen, wirst aus vollem Halse schreien und wirst versuchen, den Auflauf zu zerstreuen, ohne jemanden zu verwunden.
    Wie der Verfasser dieses Buches einen Übergang von der Schilderung der geheimen Mittel zu der der offenen Mittel hat finden müssen, so ist es auch für einen Ehemann notwendig, die ziemlich schroffe Veränderung seiner Politik zu rechtfertigen; denn in der Ehe wie in der Literatur besteht die ganze Kunst in der Anmut der Übergänge. Für dich ist diese von der höchsten Bedeutung. In welche abscheuliche Lage würdest du dich bringen, wenn in diesem Augenblick, der vielleicht der kritischste des ganzen Ehelebens ist, deine Frau sich über dein Benehmen zu beklagen hätte!
    Du mußt also ein Mittel finden, die geheime Tyrannei deiner ersten Politik zu rechtfertigen; ein Mittel, das den Geist deiner Frau auf die von ihr zu ergreifenden schroffen Maßregeln vorbereitet; ein Mittel, durch das du nicht ihre Achtung verlierst, sondern sie dir im Gegenteil gewinnst; ein Mittel, das dich der Verzeihung würdig macht, das dir sogar ein klein wenig von jenem Zauber wieder verleiht, durch den du sie vor eurer Heirat verführtest.
    »Aber bei was für einer Politik sollte man ein solches Aushilfsmittel suchen? Gibt es überhaupt ein solches?«
    Ja.
    Aber welche Geschicklichkeit, welchen Takt, welche Schauspielerkunst muß ein Mann besitzen, um die mimischen Reichtümer des Schatzes zu entfalten, den wir ihm zugänglich machen wollen! Um die Leidenschaft zu spielen, deren Feuer aus dir einen neuen Menschen machen wird, mußt du die ganze Tiefe eines Talma besitzen.
    Diese Leidenschaft ist die Eifersucht.
    »Mein Mann ist eifersüchtig. Er war es seit Anbeginn unserer Ehe. Er verbarg mir dies Gefühl mit einer raffinierten Zartheit. Er liebt mich also noch? Ich werde ihn lenken können!«
    Diese Entdeckungen muß eine Frau nach und nach machen, nachdem du mit ihr bewunderungswürdige Komödienszenen aufgeführt hast, bei denen du dich köstlich unterhalten wirst; und ein Weltmann müßte recht dumm sein, wenn es ihm nicht gelänge, einer Frau etwas einzureden, was ihr schmeichelt.
    Mit welcher vollendeten Heuchelei mußt du alle deine Handlungen nacheinander so einrichten, daß du die Neugier deiner Frau erweckst, sie mit einem neuen Studium beschäftigst, sie im Labyrinth deiner Gedanken umherirren läßt!
    Ausgezeichneter Schauspieler, errätst du, durch welches diplomatische Schweigen, durch was für listige Gebärden, geheimnisvolle Worte, doppelsinnige Flammenblicke eines Abends deine Frau zu dem Versuch verlockt wird, dir das Geheimnis deiner Leidenschaft zu entreißen?
    Oh! In seinen Bart hineinlachen, während man Tigeraugen macht; nicht lügen und nicht die Wahrheit sagen; sich des kapriziösen Geistes einer Frau zu bemächtigen und ihr den Glauben zu lassen, sie halte ihren Mann, während dieser ihr ein Halseisen anlegt! ... Oh! Komödie ohne Publikum, die von Herzen zu Herzen gespielt wird und bei der ihr alle beide im Gefühl eines sichern Erfolges euch selber Beifall klatscht!
    Deine Frau wird dir mitteilen, daß du eifersüchtig seist; sie wird dir nachweisen, daß sie dich besser kennt als du selber, sie wird dir darlegen, daß deine Listen völlig überflüssig seien, sie wird dich vielleicht herausfordern. Freudetrunken triumphiert sie im Gefühl der Überlegenheit, die sie dir gegenüber zu besitzen glaubt; du gewinnst in ihren Augen an Vornehmheit; denn sie findet dein Verhalten ganz natürlich. Nur war selbstverständlich dein herausforderndes

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