Physiologie der Ehe (German Edition)
Versuchung führt, und für die das Ehebett keine Geheimnisse hat – ein Mädchen, jungfräulich und wissend zugleich: wie kann ein Mann kalt bleiben wie der heilige Antonius, wenn er es mit einer so starken Zauberkunst zu tun hat? Wie kann er den Mut haben, den guten Grundsätzen treu zu bleiben, deren Vertreterin eine hochmütige Frau mit strengem Antlitz, mit abweisenden Manieren ist – eine Frau die sich meistens den Ansprüchen seiner Liebe versagt? Welcher Ehemann ist so stoisch, um so viel Feuer, so viel Eis widerstehen zu können?
Aber da, wo du eine neue Fülle von Freuden winken siehst, hat die junge Unschuld es nur auf Renten abgesehen und deine Frau auf ihre Freiheit. Das ist ein kleiner Familienvertrag, der durch gütliche Übereinkunft abgeschlossen wird.
In diesem Falle macht es deine Frau mit der Ehe, wie die jungen Lebemänner mit dem Vaterland. Wenn bei der Aushebung das Los sie trifft, kaufen sie sich einen Mann, um für sie das Gewehr zu tragen, um an ihrem Platz zu sterben und ihnen alle Unannehmlichkeiten des Militärdienstes zu ersparen.
Bei derartigen geschäftlichen Abmachungen, die im Eheleben vorkommen, weiß eine jede Frau ihren Mann ins Unrecht zu setzen. Ich habe bemerkt und sehe es als den Höhepunkt der Klugheit an, daß die meisten Frauen nicht immer ihre Zofe in die Geheimnisse einweihen, die sie ihnen zu spielen geben. Sie verlassen sich auf die Natur und bewahren dadurch eine kostbare Autorität über den verliebten Ehemann und über dessen Geliebte.
In diesen geheimen Tücken der Frauen liegt die Erklärung für einen großen Teil der ehelichen Sonderbarkeiten, denen man in der Gesellschaft begegnet; aber ich habe die Gespräche von Frauen mit angehört, die mit einem tiefen Verständnis über die Gefahren disputierten, die dieses furchtbare Angriffsmittel mit sich bringt: man muß sowohl seinen Ehemann wie auch das Geschöpf, dem man ihn preisgibt, ganz genau kennen, um sich die Anwendung dieses Mittels erlauben zu können. Mehr als eine Frau ist das Opfer ihrer eigenen Berechnungen geworden.
Daher wird eine Frau um so weniger diesen Notbehelf anzuwenden wagen, je stürmischer und leidenschaftlicher ihr Gatte sich gezeigt hat. Indessen wird ein Ehemann, der in diese Falle gegangen ist, seiner gestrengen Ehehälfte niemals widersprechen können, wenn sie ihre Zofe, nachdem sie deren Fehlritt bemerkt hat, mit einem Kinde und einer Abfindungssumme nach Hause schickt.
6. Der Arzt
Der Arzt ist einer der stärksten Verbündeten einer anständigen Frau, wenn sie auf gütlichem Wege eine Trennung von ihrem Ehemann durchsetzen will. Die Dienste, die ein Arzt, und zwar meistens unbewußt, einer Frau leistet, haben eine derartige Bedeutung, daß es in ganz Frankreich kein Haus gibt, dessen Arzt nicht von der Hausherrin ausgewählt ist.
Nun wissen alle Ärzte sehr wohl, welche Bedeutung für ihren Beruf die Frauen ausüben; daher trifft man auch wenig Ärzte, die nicht instinktmäßig den Frauen zu gefallen suchen. Wenn ein begabter Arzt einmal berühmt geworden ist, gibt er sich ohne Zweifel nicht mehr zu den boshaften Verschwörungen her, die die Frauen anzustiften wünschen – aber er nimmt ohne sein Wissen daran teil.
Nehmen wir an, ein Ehemann, der durch die Abenteuer seiner eigenen Jugend klug geworden ist, beschließe, gleich in den ersten Tagen seiner Ehe seiner Frau einen Arzt seiner Wahl zu geben. Solange seine Gegnerin noch nicht begriffen hat, wozu ihr dieser Verbündete nützlich sein kann, wird sie sich stillschweigend fügen; später aber, wenn alle ihre Verführungskünste an dem von ihrem Gatten ausgesuchten Arzt wirkungslos abprallen, wird sie den nächsten günstigen Augenblick ergreifen, um ihrem Mann das eigentümliche Geständnis zu machen:
»Die Art und Weise, wie der Doktor mich beklopft, ist mir unangenehm!«
Und damit ist die Verabschiedung des Doktors besiegelt.
Eine Frau wählt also entweder ihren Arzt selber, oder sie verführt den, den ihr Mann ins Haus gebracht hat, oder sie läßt ihm den Laufpaß geben.
Aber ein solcher Kampf kommt sehr selten vor, denn die meisten jungen Männer, die sich verheiraten, kennen nur ebenso junge Ärzte, und es liegt ihnen sehr wenig daran, einen solchen Freund zum Leibarzt ihrer Frau zu machen, und fast immer wird der Äskulap eines Hauses von der weiblichen Macht ausgewählt.
So kommt also eines schönen Morgens der Doktor aus dem Zimmer deiner Frau heraus, die sich seit vierzehn Tagen zu Bett gelegt hat, und
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